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Aufgeklärte Minimalisten

Die sozialdemokratischen Bildungsminister informieren sich über die beste Schule der Welt: die finnische. Sie sind neugierig auf das kleinste Unterrichtsdetail – nur vor dem verbrannten Terminus Gesamtschule hüten sie sich

HELSINKI taz ■ Ist er ein Feldherr? Oder eher ein Dirigent? Der Mann steht breitbeinig vor seinen Schützlingen. Sein Zeigestock pickt immer wieder einen heraus. Hört dann zu, geduldig, aber kein bisschen missvergnügt. Er lacht auf, erzählt etwas und bittet um die nächste Frage.

Wir sind im „Luentosali Porthan“, im Seminarraum des finnischen Zentralamtes für Unterricht. Der kleine Napoleon mit dem Zeigestab ist kein Lehrer, sondern Jukka Sarjala, der Leiter des Amts. Sarjala ist einer der Väter des finnischen Schulwunders. Sein Berufsweg verläuft parallel zur Rundum-Erneuerung der Schulen zwischen Lappland und Helsinki ab 1972. 30 Jahre danach pilgern Besucher aus aller Welt in das 5-Millionen-Einwohner-Land, um herauszufinden, welche Schule die Finnen so lesegewandt macht.

Sieben Musterschüler sitzen vor Sarjala und fragen ihn Löcher in den Bauch. Steffen, der Strebsame aus Potsdam. Die nur scheinbar unscheinbare Doris aus Mainz. Der schweigsame Mecklenburger Peter. Der freche Bremer Willi stellt gleich drei Fragen auf einmal. Uta aus Kiel würde jetzt viel lieber mit ihrem Freund auf den Raucherhof verschwinden. Und Edelgard hat längst alles verstanden, was Generaldirektor Sarjala sagt. Trotzdem hakt sie nach – ohne sich zu melden. Klaus, der schon zweimal in Helsinki war, sagt dazu nur: „Minister melden sich nicht. Die fragen einfach.“

Und sie wollen alles wissen, die sieben SPD-Bildungsminister, die aus Deutschland nach Helsinki gekommen sind: Uta Erdsiek-Rave (Schleswig-Holstein) und Doris Ahnen (Rheinland-Pfalz) erkundigen sich genau, wie das mit der „Evaluierung“ der Schulen funktioniert. Das sind systematische kleine Pisa-Untersuchungen, die Bürger und Politik über die Qualität der Schulen aufklären sollen.

Steffen Reiche (Brandenburg) hat sich derweil ins Kerncurriculum vernarrt. „Ist das jetzt so dick oder so dick“, zeigt er mit den Händen den Unterschied zwischen einem Lesebuch und einem mächtigen Wörterbuch. Sarjala hält ihm eine Art Reclamheftchen vor die Nase. Und da wird auch Klaus Böger (Berlin) blass: So dünn hätte er sich das „sine qua non“ des finnischen Lehrplans nicht vorgestellt.

Willi Lemke (Bremen), der Exmanager, nickt freudig, als Sarjala berichtet, alle Studien zeigten, wie sehr ein engagierter und starker Schulrektor die Leistungen der Schüler verbessert. Peter Kauffold (Mecklenburg-Vorpommern) interessiert sich – wegen des Lehrstellenmangels zu Hause – besonders für den berufsbildenden Teil der finnischen Schule. Fragen über Fragen also. Nur nach einem fragt niemand – nach der Gesamtschule. Das ist verwunderlich.

Hat Sarjala sie doch als das tragende Fundament der finnischen Schule dargestellt, keinen scheinbar oder tatsächlich lernschwachen Schüler zurückzulassen, sondern ihn vor allem in der Startphase mit fünf, sechs, sieben Jahren zu fördern. „Ich habe auf die Frage nach der Gesamtschule gewartet“, lächelt Sarjala verschmitzt. Er ahnte, dass sie nicht kommen würde.

Dafür sind die sieben SPD-Eleven vor ihm zu schlau. Wieso sollten sie einen Skandal produzieren, indem sie, fern der Heimat, ein plattes Lob auf die Gesamtschule loswerden? „In diesem Land gibt es – glückliches Finnland – den Konsens, dass die Gesamtschule der elementare Baustein des Bildungswesens ist“, beschreibt Klaus Böger die Lage knapp. „Bei uns nicht.“ Insgeheim denkt das Septett natürlich anders. Sie wissen, dass die neunjährige Grundschule in Finnland sozial und kognitiv brillante Ergebnisse erzielt – und um Längen besser ist als die vielfach gegliederten Schulen ihrer Bundesländer. „Fördern statt Auslesen“ ist die Grundlage dieser anderen Schulkultur.

Statt über die Gesamtschule sprechen die Deutschen in Helsinki lieber von der „Chance der Heterogenität“ (Ahnen), dem Nutzen, „unsere Kinder so lange wie möglich zusammenzuhalten“ (Lemke), der Bestätigung für unseren integrativen Ansatz (Reiche). Und nicken wissend, wenn Klassenprima Bulmahn sagt: „Wir brauchen eine andere Lernkultur.“ CHRISTIAN FÜLLER

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