: Unorte im Umbruch
Bis zum Verschwinden hell belichtet: Fotografische „Landschaftsblicke“ in der Harburger Artfinder-Galerie
Landschaft ist da. Überall und immer. Aber es macht einen großen Unterschied, wie sie wahrgenommen wird. Dabei liegt zwischen der Aussicht auf die Berge und der Autobahnraststätte, der lieblichen Flussaue und dem rotrostigen Containergebirge am betonierten Kai oft nur ein Schwenk des Fotoapparates von wenigen Zentimetern.
Eine kleine, aber beispielhaft bestückte Ausstellung in Harburg ermöglicht es nun, den eigenen Blick auf Landschaft zu überprüfen, ganz im Sinne des ,,reality check“, dem Motto der ,,2. Triennale der Photographie“. Vom international hoch gehandelten Axel Hütte, einst Schüler an der Düsseldorfer Fotoklasse von Hilla und Bernd Becher bis zum erst 26-jährigen Michael Pfisterer zeigen fünf Fotografen bei ,,artfinder“ in den Phoenixhallen großformatige Landschaftsblicke.
Die blauen Eismassen über bläulichschwarzem Granit unter grauem Himmel, wie Axel Hütte sie am isländischen Solheimarjoküll ablichtete, erzeugen nach wie vor im romantischen Diskurs des Erhabenen Ehrfurcht vor der Gewalt der Natur. Ganz anders der Unort im Triptychon des Walter Niedermayr. Wieder geht es um Stein und Eis, Gebirge und Schnee, doch hier, in dem bis zum Verschwinden hell belichteten Alpengipfel der Vedretta Presena in Südtirol, bestimmt die unerklärbare Verteilung bunter Farbflecken die gebrochene Perspektive: Das einst Erhabene ist von Sporttouristen erobert und verblasst zu öder Leere.
Der Erfurter Hans-Christian Schink dokumentiert die ,,Verkehrsprojekte deutsche Einheit“ und zeigt die Baustellen von halbfertigen Flugfeldern und Autobahnanschlüssen, menschenleer und für den Moment noch in der Ästhetik scheinbar sinnlosen Bemühens. Doch Bauarbeiten sind irgendwann fertig und mauern uns ein, bis – wie bei Michael Pfisterer – im Parkeck nur noch ein schmaler Sehschlitz bleibt, durch den letzte kahle Äste ahnbar sind. Doch die Realität ist nicht ganz so krass: Diese Fotos wurden per Computer bearbeitet.
Noch seltsamer wird es dann bei Oliver Boberg. Seine Schutthalden und caterpillargebahnten Spuren an Unorten im Umbruch werden zwar unscheinbar, aber doch bekannt. Tatsächlich aber sind sie bloß Modelle, im Studio gebaut aus Tee und Erde, Kaffeesatz, Strohalmen und Kleister. Hajo Schiff
Landschaftsblicke – Positionen Zeitgenössischer Fotografie, Artfinder, Fabrikhallen Phoenix Harburg, Wilsdorfer Straße 71, Tor 2, Di–Fr 14–19, Sa 13–17 Uhr; bis 29. Juni ( www.artfinder.de )
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