: Schiefer Schul-Turm von Hamburg
Hansestadt darf nun doch an Schüler-Studie PISA teilnehmen. Ende Juni sollen die Ergebnisse vorliegen. Eine weitere internationale Untersuchung IGLU an der Uni Hamburg testet bereits die Lesekompetenz von Grundschülern
von KAIJA KUTTERund SVEN-MICHAEL VEIT
Nach PISA, seit PISA, wegen PISA, trotz PISA: Es gibt kaum mehr eine Aussage zur Bildungspolitik, die sich nicht auf den internationalen Test zur Lesekompetenz von 15-Jährigen bezieht. Und das wird sich in Hamburg noch verstärken. Denn die Hansestadt darf nun doch am Deutschland-Teil desVergleichstest teilnehmen. Das hat die ständige Konferenz der Kultusminister (KMK) gestern in Eisenach (Thüringen) beschlossen.
Danach dürfen Hamburg und auch Berlin die im Jahr 2000 nicht vollständig erfassten Daten zum nationalen Teil des Schülervergleichstests (Pisa-E) nacherheben. In beiden Städten hatten sich zu wenige Schulen an dem Test beteiligt, so dass die Ergebnisse als nicht repräsentativ gelten. Bevor die Daten an insgesamt 62 Hamburger Gesamt- und Hauptschulen nacherhoben werden können, muss aber noch das internationale OECD-Konsortium zustimmen. Diese Entscheidung soll Ende Mai fallen, sodass in Hamburg am 3. Juni 2002 mit der Datenerhebung begonnen werden könnte.
Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) freute sich, den schiefen Schul-Turm von Hamburg ein wenig geraderücken zu dürfen: „Die erste Hürde ist mit dem Beschluss der KMK genommen. Nun kommt es darauf an, auch die Genehmigung des internationalen PISA-Konsortiums zu erhalten. In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit ist Eile geboten, denn ursprünglich wollten wir am 27. Mai mit der Nacherhebung beginnen.“
Die mit großen Hoffnungen und Befürchtungen erwarteten Ergebnisse der nationalen PISA-Studie werden am 27. Juni in Berlin vorgestellt. Dabei soll auch ein Gymnasialvergleich für alle 16 Bundesländer vorliegen. Zugleich verständigte sich die Kultusministerkonferenz auf gemeinsame Bildungsstandards zur Sicherung von Qualität. So seien die einheitlichen Anforderungen für die Abiturprüfungen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch neu gefasst und erweitert worden. Lange begrüßte auch diese Einigung, weil sie „gut in die Hamburger Erarbeitung von Bildungs- und Rahmenplänen“ passe. Damit würde auch „eine Entlastung der Lehrer in ihrer täglichen Arbeit“ erreicht werden.
Nach PISA kommt IGLU – aber keine Schlammschlacht
In Wissenschaftlerkreisen indes schaut man auch aus anderen Gründen gespannt auf Hamburg. Denn am Institut für international vergleichende Erziehungswissenschaft der Universität, wo schon PISA-Koordinator Andreas Schleicher seine Assistentenzeit verbrachte, werten Professor Wilfried Bos und sein Team für Deutschland eine weitere mindestens ebenso spannende Studie aus: IGLU, die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung für 10-Jährige, an der sich weltweit 39 Staaten von Argentinien bis Zypern beteiligt haben.
In der Bundesrepublik haben vor genau einem Jahr insgesamt 10.700 Viertklässler aus 247 Klassen den Lesetest gemacht. Die Internationale Auswertung wird im April 2003 erwartet, die detaillierte Analyse im Jahr darauf. Für Wilfried Bos ist jetzt schon klar: „IGLU wird Anlass für Reformen geben. Die muss man dann in Ruhe diskutieren.“ Jetzt aber schon aus PISA Rückschlüsse für Vor- und Grundschulpädagogik zu ziehen – wie es auch in Hamburg geschieht – hält er hingegen für „gewagt“. Denn Lesen, sagt Wilfreid Bos, „lernt man in der Grundschule“. In den weiterführenden Schulen wird Leseverständnis als Schlüsselkompetenz vorausgesetzt. Es gebe aber bislang keine Untersuchung darüber, ob diese Kompetenz in der Grundschule ausreichend beigebracht wird. Bos: „Da gibt es Riesenlücken.“ Wenn PISA nun zeige, dass 25 Prozent der Neuntklässler nicht richtig lesen können, „ist da viel falsch gelaufen“.
Der Test, der die Lesekompetenz in vier Stufen vom einfachen Verstehen bis hin zur Bewertung der Texte abfragt, wird laut Bos Aufschluss über allerlei strittige Fragen in der Bildungspolitik geben. Beispielsweise, wieviel Prozent der Leistung durch Lernverhalten, wieviel durch Unterstützung und Bildungsnähe der Eltern zustande kommt. Auch über die Fragen, ob Noten oder Berichtszeugnisse besser sind, ob sich offener Unterricht gegenüber dem frontalen bewährt, und – politisch brisant – ob die von Lehrern abgegebene Empfehlung für die weitere Schullaufbahn der 10-Jährigen mit den Testergebnissen übereinstimmen, lassen sich auf Grundlage des Datenmaterials Ausagen treffen.
Die Schulen wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Hamburg hat mit zwei Schulen nur eine kleine Stichprobe abgegeben, die aber haben sich zusammen mit Schulen aus elf weiteren Bundesländern auch an dem IGLU-Ergänzungstest beteiligt, der zusätzlich mathematische und naturwissenschaftliche Kenntnisse abfragt. Dem Empiriker Bos kommt es dabei weniger auf den Wettbewerb an – „Rankings sind bei IGLU das Uninteressanteste“ – als auf Erkenntnisse beispielsweise zur Bedeutung des Lesens für den Matheunterricht. Bos: „Wir wissen wenig über Kinder mit Migrationshintergrund. Ob die mit muttersprachlichem Unterricht oder Förderung in Deutsch besser unterstützt werden.“
Für eine bildungspolitische Schlammschlacht, wie sie nach Veröffentlichung der PISA-Deutschland-Studie Ende Juni erwartet wird, wird sich IGLU vermutlich nicht eignen. Zum einen ist der Wahlkampf im April 2003 vorbei. Zum anderen haben nur sieben Bundesländer die erforderliche Stichprobe für einen Binnenvergleich geliefert.
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