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Japans Hoffnung

Werbeagentur erwartet, dass die WM die Wirtschaft in Schwung bringt. Andere Ökonomen sind vorsichtiger

Suzue Tanigawa spricht drei Sätze in drei Fremdsprachen fließend. „Willkommen an unserem Kitty-Stand. Wie wäre es mit japanischen Souvenirs für Ihre Familie? Hier erhalten Sie WM-T-Shirts mit der Katze Kitty.“ Für genau sechs Wochen soll die Studentin Tanigawa im noblen Warenhaus Takashimaya in Yokohama die WM-Artikel der niedlichen Hello-Kitty-Linie an ausländische Fußballfans verkaufen und so mithelfen, die Umsätze des Warenhauses um zweistellige Prozentzahlen zu steigern.

400.000 ausländische Fans erwartet Japan für die am nächsten Samstag beginnende Fußball-WM. Die Hotels in Austragungsorten sind ausgebucht, Restaurants erwarten während der Spiele traumhafte Umsätze, und Warenhäuser hoffen, dass die Fans auch noch etwas Kleingeld für den Kauf japanischer Souvenirs übrig haben.

Deshalb drehen sich die Kolumnen der japanischen Wirtschaftspresse seit längerem um die Frage, wie viel Prozentpunkte an zusätzlichem Wirtschaftswachstum das Land mit der Austragung der WM schreiben könnte. Die Optimisten sagen die sehnlich erwartete Konjunkturerholung voraus, während Pessimisten auf die sündhaft teuren Investitionen in neue Fußballstadien verweisen, die ganze Regionen in Schulden stürzten und nach der WM kaum mehr gebraucht würden.

Das Wirtschaftsforschungsinstitut der größten japanischen Werbeagentur Dentsu gehört zu den Optimisten. Dentsu sagt dem Land zusätzliche Einnahmen von rund 3 Billionen Yen (26,1 Milliarden Euro) voraus. Das wäre mehr als doppelt so viel wie die 1,41 Billionen Yen (12,3 Milliarden Euro), die für den Bau von neuen Stadien, Zufahrtsstraßen und Unterkünfte für die Fußballteams ausgegeben wurden. „Die Fußballweltmeisterschaften sind eine einmalige Gelegenheit, um das angeschlagene Selbstvertrauen in der japanischen Wirtschaft zu heilen und sich gleichzeitig Touristen und Investoren von einer neuen Seite zu präsentieren“, schreibt das Dentsu-Institut.

Die Bedingung für dieses rosige Szenario ist allerdings, dass das Nationalteam mit Starfußballer Hidetoshi Nakata als Kapitän mindestens das Viertelfinale erreicht. Dentsu geht nämlich davon aus, dass Japan mit einem gestärkten Selbstvertrauen auf dem Rasen auch mehr Mut für Wirtschaftsreformen fassen und damit die Konjunkturerholung etwas früher bewerkstelligen könnte.

Dieser psychologisch gefärbten Interpretation mag Eiji Kitada, Chefvolkswirt vom Hamagin-Wirtschaftsforschungsinstitut in Yokohama, nicht zustimmen: „Die Probleme der japanischen Wirtschaft sitzen so tief, dass dieses einmalige Ereignis nicht reicht, um das Land aus der Krise zu führen.“

Zwölf Jahre Stagnation ohne klare Reformkonzepte der Regierung hätten dazu geführt, dass die Realeinkommen jährlich um mehr als 3 Prozent sinken. Seit fünf Jahren fielen die Kreditausreichungen der Banken an Unternehmen in zweistelliger Höhe und eine deflationäre Preisspirale drehe sich seit zweieinhalb Jahren. Das Resultat sei bekannt, historisch einmalige Großkonkurse bekannter Unternehmen und eine Rekordarbeitslosigkeit, die nach europäischen Normen gemessen bei 10 Prozent liege. Die Konsumverweigerung der Privathaushalte sei eine direkte Folge dieser Wirtschaftspolitik und werde auch nach der WM anhalten.

Hiroshi Nakada (38), der neu gewählte Bürgermeister von Yokohama, war vor seiner Wahl im April einer der prominentesten WM-Skeptiker Japans. Nun hat er als frisch gebackener Stadtvater seine Meinung etwas geändert: „Kurzfristig werden wir keinen wirtschaftlichen Gewinn sehen. Doch wird Yokohama als Finalstadt der WM 2002 weltweit im Gedächtnis der Menschen bleiben. Das ist wie ein Markenzeichen, das künftig mehr Touristen und Investoren anziehen wird“, erklärte Nakada.

ANDRÉ KUNZ

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