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Die Ohren im Wasser

Sanfte Wellen, sphärische Klänge, japanische Schlichtheit: Im neuen Berliner Liquidrom treiben Gäste schwerelos im Becken, hören Unterwassermusik und vergessen, dass Sole nicht die Welt bedeutet

von CHRISTINE BERGER

Im Grunde genommen wollen alle nur das eine: einmal getragen werden, Verantwortung an der Garderobe abgeben, die Seele baumeln lassen. Manchen reicht schon, wenn sie einmal in der Woche ausschlafen dürfen, andere joggen täglich, meditieren oder gehen sonst wie auf Reisen ins Innere.

Das neue Liquidrom am Anhalter Bahnhof ist auch so ein Tummelplatz für die Seele. Hier spielt Wasser die entscheidende Rolle und natürlich Musik. Schon am Eingang locken die sphärischen Klänge der Chill-out-DJs. Mit einem gelben Plastikchip in der Hand, der einem die nächsten Stunden als Zahlungsmittel dient, folgt man den leisen Tönen, fühlt, wie sich schon im Umkleideraum die Bewegungen verlangsamen, das Programm Entspannung beginnt. Fast vier Meter hohe Räume, mit Schieferboden und soliden Holzschränken, dann die Glastür zur Dusche, dunkel das alles, Schiefer und Beton allerorten. Kein Neonlicht, keine Plantschbadakustik. Das beruhigt.

Die Gang zum Bad ist eine lange hohe Gasse mit gepixelten Wasserbildern von Linda Troeller, ein Tresen kommt in Sicht, angeblich der längste von ganz Berlin. Auch hier Schiefer, Holz, Beton. Dann der Innenhof unter freiem Himmel. Japanischer Stil, viel Holz und Bambus. Dampf steigt aus einem Heißwasserbecken, eine Hand voll handtuchumschlungener Mittdreißiger ruht auf Liegestühlen.

Am Ende des Ganges geht es endlich hinein. Perfide Badelatschen zeugen davon, dass hinter der Wand menschliches Leben sein muss, eine Treppe führt ins Wasser und gibt den Blick frei auf das spärlich erleuchtete kreisförmige Becken und die düstere Kuppel darüber. Reglose Gestalten liegen im Wasser, Leichenstimmung. Die Musik ist auch über Wasser gut zu hören, sanfte Rhythmen vermixt mit Walgesängen, dann wieder schnelle Beats.

Der erste Versuch. Rückenlage, Hohlkreuz, die Ohren unter Wasser. Die Musik ist deutlich zu hören, doch dann macht es blopp und ein Ohr ist voll Wasser. Also wieder hingestellt in dem rund 1,50 Meter tiefen Becken, ein bisschen den Kopf geschüttelt und wieder in Position gebracht. Diesmal geht es schon besser. Die Ohren nehmen nur noch die Klänge, nicht mehr das salzige Wasser auf, langsam entspannen die Muskeln, vertraut sich die Masse Mensch dem Wasser an. Arme und Beine tarieren die ideale Gewichtsverlagerung aus, der Körper lässt sich fallen in die Welt aus Musik und Schwerelosigkeit. Und beginnt zu träumen, spürt das sanfte Schaukeln auf den Wellen. Im Kopf spulen Filme ab, spielende Kinder am Strand, die eigenen Versuche in der Badewanne, Geräusche unter Wasser zu hören, Erinnerungen daran, wie man als Kind auf dem Fünf-Meter-Brett im Schwimmbad gestanden hat. Eine Zeitreise das alles, getragen vom körperwarmen Wasser, der Musik, der schlichten Grottenarchitektur.

So könnte man stundenlang treiben, wären da nicht irdische Dinge wie ein juckender Mückenstich, Wasser in der Nase und nicht zuletzt die Neugier, wissen zu wollen, wer da eigentlich die Musik ins Wasser lässt. Die Treppe hinauf ins Trockene wird zur Belastungsprobe. Tonnenschwer die Beine, der ganze Körper ein manövrierunfähiger Koloss. Die Schwerelosigkeit hat einen vergessen lassen, wozu der Mensch geboren ist – Lasten tragen, Wege gehen, Erde spüren.

Die DJs sind gut versteckt hinter einer Fensterfront, eine Art Bademeisterkabuff mit Aussicht auf die nasse Spielwiese. Fanger & Schönwalder, wie das Duo des Abends heißt, haben sich mit weißen T-Shirts ausgerüstet, fehlen nur noch Shorts und Schlappen, um den Lebensretter rauszukehren. „Die beste Ovation ist, wenn alle flach im Wasser liegen“, sagt Mario Schönwälder und garniert den Soundteppich mit ein paar Takten vom Keyboard. Beide schwärmen vom Liquid-Soundbad im thüringischen Bad Sulza, dem großen Bruder des Liquidroms. Da gab es neulich einen DJ-Marathon. 36 Stunden lang Livemusik, viele Besucher aus aller Welt waren die ganze Zeit dabei. „Haben mal auf einer Liege gepennt, aber sind dann gleich wieder ins Wasser“, schwärmt Thomas Fengler. Süchtig machen kann das.

Den meisten Besuchern des Liquidroms ist es egal, woher die Musik kommt. „Von den Live-DJs ist eh nichts zu sehen“, meint die 34-jährige Sabine Puls. Sie ist zum ersten Mal beim Unterwasserkonzert. Ihr Freund hat sie eine Weile durchs Wasser getragen. Jetzt ist sie dran. Nicht alle vertrauen dem Treiben aus eigener Kraft. Und so sieht man Pärchen, einer liebevoll gebeugt über den jeweiligen Partner. Ein rührendes Bild.

Zum Auffrischen hilft das mit Schwarzlicht beleuchtete Tauchbecken. Hinterher prickeln die Beine, und die Müdigkeit steigert sich zu einem Minutenschläfchen auf der Liege. Liegenachbar Arnd Bächler gefällt das neue Bad. „Wie die Thermen in Budapest“, urteilt der Psychologe. Sein Freund Armin Traute nickt. „Ein außergewöhnlicher Ort“, setzt er hinzu und nippt an seinem Rotwein. Beide wollen auf jeden Fall wiederkommen. So wie auch die Autorin dieses Textes. Dann auch mal die Sauna besuchen und das Dampfbad. Und vielleicht erlaubt das Konto irgendwann ja auch mal eine Aqua Wellness-Synchronsession für Liebespaare im Liquidrom-Pool für 185 Euro. Ob es das bringt?

Liquidrom Therme Berlin, Möckernstraße 10, Berlin-Kreuzberg, Tel. (0 30) 74 73 71 72, www.liquidrom.com, DJs im Liquidrom-Club sonnabends 21.30–24 Uhr, freitags „Klassik unter Wasser“ 20–22 Uhr, außerdem Vollmond-Livekonzerte, Eintritt: 15 Euro

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