Das Fiepen der Murmeltiere

Mit zwölf Unbekannten in einer abgeschiedenen Dolomitenhütte einen Kletterkurs zu absolvieren, das ist Risikosport pur. Die größte Herausforderung: eine Woche lang ohne Dusche und mit drei Schmelzwasserhähnen auskommen zu müssen

von BARBARA DRIBBUSCH

Stirnlampen sind eine prima Sache. Nicht nur dann, wenn man nachts vom letzten Lager zum Everest-Gipfel aufbrechen will; auch die Nächte auf einer Hütte in den Dolomiten lassen sich mit einer Kopflampe besser durchstehen. Heute Abend zum Beispiel ist mal wieder der Stromgenerator ausgefallen. Zwei halb nackte Schwaben putzen sich im Lichte ihrer Petzl-Stirnlampen im Waschraum die Zähne.

Wer einen einwöchigen Kletterkurs in einer abgeschiedenen Dolomitenhütte bucht, geht zwei Risiken ein, ein größeres und ein kleineres. Das kleinere besteht darin, irgendwann mal 15 Meter tief ins Seil zu stürzen und dabei unglücklich am Fels aufzuschlagen. Das größere liegt darin, dass in der Gruppe ein oder zwei echte Unsympathen sind. Denn die Fonda-Savio-Hütte im Gebiet der Cadin-Spitzen ist so beengt wie eine Polarstation am Nordpol. Für herzliche Antipathien ist hier schlichtweg kein Platz.

Zu acht schlafen wir auf kleinstem Raum. Vier Doppelstockbetten stehen Fuß an Kopf neben- und hintereinander. Schränke gibt es nicht. Mein Rucksack liegt nachts auf meinen Füßen. Im Bett über mir schlummert Edi, ein 22-jähriger Autoverkäufer aus Sachsen, der nachts ab und an von seinem Chef auf dem Handy angerufen wird. Im angrenzenden Bett lagert ein ausgebrannter junger Unternehmensberater aus Hamburg mit traurigen blauen Augen. Unter ihm liegt ein Sonderschullehrer, den höflicherweise niemand auf sein nächtliches Schnarchen anspricht. Im Stockbett schräg gegenüber schläft eine Tanzpädagogin, mit der ich nicht über ihre Eheprobleme diskutieren werde.

Überhaupt gewöhnt man sich schnell daran, wenig zu reden. Ab 22 Uhr abends herrscht strenge Hüttenruhe. Wie einfach kann doch das menschliche Zusammenleben sein. „Es passt mit der Gruppe“, murmelt unser österreichischer Bergführer Florian zufrieden. Er hat Recht.

Alpines Bergsteigen, so erklärt uns Florian, sei nicht zuletzt „eine Sache der Psyche“. Jeder mit einer guten körperlichen Kondition kann einen Grundkurs im Klettern buchen – aber man sollte weder Platz- noch Höhenangst kennen.

Klettern bedeutet, in großer Höhe durch eine Wand zu steigen und dabei nicht an einen Sturz ins Seil zu denken. Treten, greifen, atmen, sich hochziehen. Eine Herausforderung des Tast - und Gleichgewichtssinns.

Technisch funktioniert das Bergsteigen einfach: Man geht immer zu zweit in einer Seilpartnerschaft. Einer hat sich am Haken in der Wand fest eingeklinkt und sichert den vorauskletternden Partner mit einem speziellen beweglichen Knoten. Der Vorsteiger wiederum hängt das Seil nach und nach in die Haken in der Route ein und lässt es darin mitlaufen. Ist er oben an einem Standplatz angekommen, klinkt er sich selbst fest und sichert nun wiederum mit dem beweglichen Knoten den nachsteigenden Partner. Es gibt fünf Seilkommandos, die man auf keinen Fall verwechseln darf. Über vier bis fünf Seillängen erreichen wir so den Gipfel.

Schon am zweiten Tag beherrschen auch die Anfänger die Knoten und Kommandos, wir klettern durch eine 100 Meter hohe Wand, Steinschlaghelme auf dem Kopf, es sieht alles ein bisschen gefährlich aus.

Das Wichtigste im Gebirge sind die Schwerkraft und das Wetter. Ein Gewitter mit Blitzeinschlag im Berg kann Erdströme erzeugen, die einen Kletterer bewusstlos werden lassen. Kein Wunder also, dass wir am Ende der Woche den Unterschied zwischen Zirruswolken (eher harmlos) und sich auftürmenden Gewitterwolken kennen. Wenn der Luftdruck fällt, steigt die Gewittergefahr, die Murmeltiere fangen an zu fiepen. Es ist romantisch hier oben.

Am Ende der Woche entlädt sich die Gruppenspannung in einer Rotweinsauferei und einer Kissenschlacht im Schlafraum. Ein bisschen Regression muss sein. Zuvor hat Hans, der zweite Bergführer, wohl schon zum x-ten Mal erzählt, wie er damals in Kalifornien die kilometerhohe Wand des El Capitan mit Hilfe von vielen Litern Bier in drei Tagen bewältigte.

Um 22 Uhr dann herrscht wieder Hüttenruhe. Der Generator fällt aus. Im Waschraum werde ich auf die Schwaben mit den Kopflampen stoßen. Und morgen steigen wir ab.

Kletterkurse kann man unter anderem beim DAV Summit Club in München (www.dav-summit-club.de) buchen.