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Stirnfalten am Bratwurststand

Die Messe „Internet World“ in Berlin will Treffpunkt der Internetanwender aus dem Mittelstand sein. Fast die Hälfte der Deutschen ist online, aber die Geschäfte laufen so schlecht, dass die richtige Gründerzeitstimmung nicht aufkommt

von VERENA DAUERER

Rosige Zeiten stehen an: Eigentlich soll es nur bergauf gehen mit der Internetbranche. Nach einer Prognose des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) wird der Markt bei Internet- und Onlinediensten dieses Jahr um 20 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro wachsen und nächstes Jahr gleich um 22 Prozent; Mobilfunk-, Daten- und Internetdienste werden lockere 13,1 Prozent zulegen, der gesamte E-Commerce wird sich bis zum Jahr 2005 um das Zehnfache erweitern. Und KarstadtQuelle, das größte europäische Versandwarenhaus, erwartet für 2002 eine Steigerung der Nachfrage um 50 Prozent.

Warum herrschte dann allgemeine Trübe-Tassen-Stimmung bei den Ausstellern der sechsten Internet World 2002 in Berlin? Die machten zur Eröffnung am Dienstag so lange Gesichter, dass bei ihnen nicht mal eine ordentlich gepflegte Langeweile aufkommen wollte. Vielleicht lag es am trostlos vereinsamten Baustellenflair, den die Messeerweiterung in Charlottenburg derzeit umgibt. Die halb fertigen Betonruinen trüben die Gründerstimmung; sie erinnern zu gut an die Marktzusammenbrüche der letzten Jahre.

Oder lag es an den spärlich tröpfelnden Besuchermassen, die zumindest am Eingang noch aus einer Horde wissbegieriger Schulklässler und vereinzelten, vor Kummer über den Neuen Markt und den vagen Begriff der neuen Medien ergrauten Journalisten bestanden. Die mochten sich vor den Hallen fragen, wer wohl drinnen in den Abteilungen „Streaming Media“, „eLearning“, „Call Center Trends“, „IT-Security“ und in der „Mobile World“ überlebt hat. Auf jeden Fall Firmen mit aufmunternden Namen wie Geizkragen AG oder Yippi-Yeah! E-Business.

Es war zwar Internet World, aber keiner kümmerte sich darum. Nicht mal ordentliche Mitbringsel gab es. Nur spannende Broschüren wie TeleTalk, Acquisa und CallCenter lagen aus, allerhöchstens konnte man wie letztes Jahr einen Organizer für ein Probeabo vom Milchstraßenblatt Tomorrow einheimsen.

So trieb man sich in den riesigen Räumlichkeiten des Presseareals im zweiten Stock herum und lauschte den Befragern des Emnid-Instituts, was die über den Zustand der bundesdeutschen Onlinegewohnheiten zu erzählen hatten. Geschäftsführer Hartmut Scheffler weiß, dass es 30 Millionen Deutsche ins Web geschafft haben, sie sind „drin“, wie Boris Becker für AOL schön ungläubig sagt. Besonderes Augenmerk legte Emnid auf diejenigen, die sich immer noch dem tollen Netz verweigern wollen. „Es geht darum, diese Personen zu verstehen“, so Scheffler einfühlsam. Er teilt die Gesellschaft in Onliner und Offliner auf, die ein digitaler Graben voneinander trennt.

Doch beide fehlten in den Hallen. Noch letztes Jahr war die Messe stolz darauf, überregionaler Treffpunkt der Anwender aus dem Mittelstand zu sein. Wo sind sie geblieben? Der am besten besuchte Stand war definitiv das Verpflegungszelt mit den Rostbratwürsten draußen zwischen der Streaming-Media- und der Mobile-World-Halle. Davor und auf dem Betonboden am Hallenrand saßen die Anzugträger mit wahlweise Eis am Stiel oder Nackensteak in der Hand. Ein idyllischer Anblick mit einer Stimmung wie bei einem Straßenfest, auf dem kein Alkohol ausgeschenkt wird.

Vielleicht wurden tatsächlich bei der Rostbratwurst die zahlreichsten Deals abgeschlossen, oder es trafen sich einfach nur IT-Arbeiter auf Jobsuche zum Würstelessen. Immerhin wurde dort der Branchenguru Ossi Urchs mit seiner roten Haarmähne gesichtet, bestimmt ein eindeutiges Zeichen. Daneben schienen Miss Brandenburger Tor, Miss Siegessäule und Miss Funkturm in Goldlamé nur mehr unauffällig zu glänzen. Sonst glich die Messe einem Fachtreffen für Staubsaugervertreter in einheitsabgedunkelten Anzügen, die mit ebenso düsteren Mienen angespannt durch die Gänge schlurften.

Massage für Nerds

Mit den hässlichsten Ausführungen mussten, man hat es geahnt, die Mitarbeiter der piefigen Telekom herumlaufen. Sie wurden in mausgraue C&A-Verschnitte gesteckt, um die Firmenfarbe Pink am Stand kontrastreich zum Leuchten zu bringen. Die Einzigen mit standesgemäß flippiger Kleidung waren ein paar versprengte Redakteure peppiger Onlineportale. Genauso wenig Experimente fanden sich beim Design der Aussteller, man gab sich seriös. Wie schön, dass alteingesessene Betriebe wie die Post und die Deutsche Bahn auf der Messe vertreten waren. Am Poststand fühlte man sich fast heimelig aufgehoben, sah er doch original wie eine gewöhnliche Filiale aus.

Das kann nur bedeuten, dass Bratwurstfeeling und Bodenständigkeit auch im Internet angekommen sind. Keine 24-Stunden-Arbeits-Party-People mehr weit und breit. Nur die Firma „CoreMedia“ traute sich an den Versuch einer Lounge mit DJ, aber in dezentem Graublau. Schließlich verkauft sie „Content Management“, mittlerweile ein Unwort, das man mit einem hämischen Lächeln ausspricht.

Das macht Falten auf der Stirn und verspannt die Muskeln. Das Unternehmen Fitalis besucht deshalb Computerspezialisten am Arbeitsplatz und lockert sie mit Massagen auf. Und nicht nur die Masseuse Margret Dähndel berichtete, wie Viag Interkom, jetzt O2, den Mitarbeiterinnen, die immer die kaputten Handys reparieren, Massagen geschenkt hat: eine anstrengende Arbeit für die Finger.

Kopfarbeit dagegen auf der Gesprächsrunde, die sich „Internet Gipfel“ nannte: Alle außer dem Moderator Kai Thäsler von n-tv guckten ernst mit herunterhängenden Mundwinkeln. In ihren Blicken stand die Frage von Thäsler: Wo kriegen wir in den nächsten zwölf Monaten Geld her? Johannes Züll von RTL Newmedia gab sich zu seinem Stellenabbau vorsichtig: „Wir passen unsere Wachstumserwartungen den Gegebenheiten des Markts an.“ Optimistisch dagegen Burkhard Graßmann vom T-Online Marketing: „Der Markt wächst schon, aber der Kapitalmarkt nicht“ – Anlass für Ulrich Dietz von GFT Technologies, sich zu wundern: „Ich weiß nicht, welcher Markt.“ Er fand es „eigentlich ganz schön, dass auf der Messe wieder mehr Platz ist“. Paulus Neef von der Pixelpark AG versuchte krampfhaft zu lächeln, und Erwin Staudt von IBM Deutschland sah ein Problem in den mangelnden „Skills“. Er will deshalb „die Regierung wach küssen“, und tatsächlich plant das Bundesministerium für Bildung und Forschung eine neue Fortbildungsordnung, die Berufsabschlüsse wie IT-Entwickler, IT-Projektleiter, IT-Berater und IT-Ökonom vorsieht. Nach einer Weiterbildung sind außerdem die Titel „Geprüfter Informatiker“ oder „Geprüfter Wirtschaftsinformatiker“ möglich.

O2-Chef Rudolf Gröger bemühte sich danach, das Missgeschick des viel zu teuren Einkaufs der UMTS-Lizenzen pragmatisch zu erklären: „1999 war noch der Sky das Limit, und die Banken wollten das Geld unter die Firmen bringen. Dann hat man geschaut, wie man die durchschnittliche Mobilmonatsrechnung von 50 Euro nach oben bringt.“ Nur hat die Idee mit den Musikportalen dann nicht geklappt. Was bleibt, ist die feste Überzeugung, dass es weitergeht: Heute wird zur Fußball-WM die Tormeldung per SMS geschickt, in sechs bis zwölf Monaten kommt das Bild dazu und in ein bis zwei Jahren die Torsequenz als Film. Bescheiden, aber freudig beurteilte allein Alfred Tacke vom Bundesministerium für Wissenschaft die allgemeine Situation: „Vor drei Jahren hätte niemand damit gerechnet, dass die Hälfte der Bevölkerung online ist.“ Stimmt, wozu soll sie dann auf die Messe gehen?

vdauerer@t-online.de

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