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Der Kicker der Nation

Fritz Walter: Ein begnadeter Fußballer, ein Regisseur mit Übersicht, ein bescheidener, sympathischer, bodenständiger Grübler

von MATTI LIESKE

Leute, die ihn einst spielen sahen, gerieten noch Jahre danach ins Schwärmen, wenn sie von der grandiosen Technik Fritz Walters erzählten, seiner phänomenalen Übersicht, der Präzision seiner Pässe, der Perfektion seiner Torschüsse, zum Beispiel beim legendären Hackentor aus 16 Metern, von dem keine Bilder existieren. Dass er vor zwei Jahren bei der Wahl zum Weltfußballer des Jahrhunderts nur auf Rang 23 landete, acht Plätze hinter Lothar Matthäus, noch weiter hinter Gerd Müller und natürlich Franz Beckenbauer, der Dritter wurde hinter Pelé und Cruyff, lag vor allem daran, dass er seine Kunst in einer Zeit ausübte, in der Filmaufnahmen rar und verworren waren und daher das Wirken des Pfälzers nur spärlich dokumentiert ist. Es liegt aber auch daran, dass der 1920 geborene Fritz Walter die besten Jahre seiner Fußballkarriere nicht auf dem Spielfeld, sondern von 1942 an in Uniform und später in russischer Kriegsgefangenschaft verbrachte.

1948 trug er wieder das Trikot des 1. FC Kaiserslautern und erreichte sogleich das erste Nachkriegsendspiel, welches gegen den 1. FC Nürnberg mit 1:2 verloren ging. 1951 spielte er dann elf Jahre nach seinem Länderspieldebüt, bei dem er gegen Rumänien als 19-Jähriger gleich drei Tore erzielt hatte, wieder in der Nationalmannschaft und wurde schnell zum verlängerten Arm des zum Despotismus neigenden Bundestrainers Sepp Herberger, der auch mal einen Spieler auf ewig aus seinem Team verbannte, weil der es wagte, sich beim gemeinsamen Essen in einem Gasthaus ein Gläschen Bier zu bestellen.

Bei Fritz Walter hatte der „Chef“, wie er ihn stets respektvoll nannte, derlei nicht zu befürchten. Ein Bier trank er höchstens, wenn es Herberger selbst genehmigt hatte, und Widerspruch oder Kritik am Trainer wäre ihm niemals eingefallen. Dafür verstand er praktisch ohne Worte, was dem Bundestrainer vorschwebte, und vermochte es auf dem Platz mit einer Autorität und einem Selbstbewusstsein umzusetzen, welches ihm ansonsten oft fehlte. Mit sicherem Instinkt konnte er den Rhythmus einer Partie bestimmen; wie es Herberger ausdrückte, „die Deckenbeleuchtung einschalten, damit es beim Gegner brennt, oder sie ausschalten, um Kräfte für eine entscheidende Phase des Spiels zu sparen.“

Sorgen bereitete Herberger der Hang zu Schwermut, Grübelei und Selbstzerfleischung bei Fritz Walter, weshalb er ihm als Zimmergenossen gern den lebenslustigen Helmut Rahn „als Medizin“ zugesellte, der es tatsächlich oft schaffte, die düsteren Gedanken des Kapitäns zu vertreiben. Geschickt machte sich Sepp Herberger auch die Marotten seines genialen Regisseurs zunutze, der vor dem Spiel die Fäuste zu ballen pflegte, um zu sehen, ob sich die Knöchel weiß färbten. Wenn ja, war er überzeugt, die Kraft für ein großes Spiel zu besitzen. Auch war er der Meinung, auf nassem Boden besonders gut spielen zu können, weshalb es Herberger nicht versäumte, seinem wichtigsten Akteur, als vor dem 3:2 im Finale 1954 in Bern gegen Ungarn ein hartnäckiger Regen einsetzte, den legendären Satz mit auf den Weg zu geben: „Fritz, däss is dei Wedder.“

Das Fußballspielen erlernte der junge Fritz Walter in der Schülermannschaft des 1. FC Kaiserslautern, wo sein Vater Vereinswirt war. Sein Talent zeigte sich schnell, weshalb Herberger, damals noch treuer Reichstrainer unter dem Nazi-Regime, bald auf den Sparkassenangestellten aus der Pfalz aufmerksam wurde. Dem 1. FC Kaiserslautern blieb er sein Leben lang treu, auch wenn er in den Sechzigerjahren kurz den SV Alsenborn betreute, jene Mannschaft aus seinem Wohnort, die um ein Haar in die Bundesliga aufgestiegen wäre. Mit seinem Klub, der auch das Gerüst der WM-Mannschaft von 1954 stellte, wurde er 1951 und 1953 deutscher Meister, später konnte ihn nicht mal ein imposantes Angebot von Atlético Madrid locken. Die für damalige Verhältnisse gigantische Summe von 250.000 Mark Handgeld hätte er bekommen, dazu ein fürstliches Gehalt, Walter jedoch blieb beim FCK und prägte einen weiteren legendären Satz: „Dehäm is dehäm.“

1958 ließ sich Fritz Walter von Sepp Herberger noch einmal überreden, mit nach Schweden zu reisen, und spielte eine weitere herausragende Weltmeisterschaft. Nicht wenige meinten, dass weniger der Platzverweis für Juskowiak der Grund gewesen war, dass die Deutschen im Halbfinale gegen Schweden verloren, sondern der üble Tritt von Parling, der den 38-jährigen Regisseur zum humpelnden Statisten degradierte. Ein Jahr später war dann Schluss für Fritz Walter, und er ließ sich auch nicht erweichen, als ihn der „Chef“ noch einmal für die WM 1962 in Chile reaktivieren wollte.

Sein Auskommen fand er danach als Sportartikelrepräsentant und mit anderen Geschäften, sein Ruhm blieb unvergänglich, obwohl er nicht in Traditionsmannschaften spielte wie Uwe Seeler, oder mit Ämterhäufung glänzte wie Beckenbauer.

Erworben hatte er sich seinen Status natürlich vor allem mit dem WM-Gewinn von 1954, wo er mit seiner ruhigen, bescheidenen und sympathischen Aura viel dazu beitrug, dass die Welt den deutschen Triumph so kurz nach dem Krieg nicht allzu übel nahm. Auch Fritz Walter war es zu verdanken, dass Leute wie der damalige DFB-Präsident Peco Bauwens, der nach Bern über „welschen Neid“ und „die Gunst des Kriegsgottes Wotan“ schwafelte, in den Hintergrund gedrängt wurden. Gestern ist Fritz Walter im Alter von 81 Jahren gestorben.

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