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Happy Birthday, Ikone

Zwischen Rauch und Nickelbrille: Hermann Hesse begeht seinen 125. Geburtstag unter anderemals Poster. Das Warhol-Porträt gehört heute zum klassischen Bildprogramm des Teenager-Zimmers

Mit dem Warhol-Poster erhielt Hesses Werk die Weihender Popkultur

von KOLJA MENSING

Im Jahre 1984 gab der Suhrkamp Verlag bei Andy Warhol ein Porträt Hermann Hesses in Auftrag. Nur wenige Zeit später entstand auf Grundlage dieses Porträts das wohl erfolgreichste Werbeplakat des Frankfurter Verlages, das alle Jahre wieder seinen Weg in die Schaufenster von Buchläden findet. Darüber hinaus gehört es mittlerweile genau wie das bekannte Konterfei Che Guevaras oder das „Why?“ betitelte Anti-Kriegs-Plakat mit dem sterbenden Soldaten zum klassischen Bildprogramm des deutschen Teenager-Zimmers.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Im übersichtlichen DIN-A-0-Format versammelt Warhols Hesse-Porträt zunächst einmal die wichtigsten Zeichen jugendlicher Dissidenz. Der Rauch, der aus dem Mund des Dichters so malerisch emporsteigt, verweist auf die subversive Kraft der ersten Zigaretten und artverwandter Einstiegsdrogen. Auch die Nickelbrille, die Hermann Hesse sein Leben lang trug, ist seit den Zeiten John Lennons aus der Ikonografie des Jugendprotestes nicht wegzudenken ist. Mit so einer Brille möchte man nicht besser sehen – sondern anders gesehen werden. Dazu kommt, dass Hesse im Gegensatz zu dem Foto, das als Vorlage gedient hatte, auf dem Porträt mit dem Auge zu zwinkern scheint und dazu leicht belustigt lächelt: Auf Warhols Bild wird das traditionelle Zeichenvokabular jugendlicher Aufmüpfigkeit ironisch gebrochen. Dem Zeitgeist der Achtzigerjahre kam das sehr entgegen. Die Sehnsucht nach der Revolte begann sich längst in den feinen Unterschieden der Postmoderne aufzulösen.

Natürlich sind es nicht allein die rauschartig genossene Zigarette und das runde Brillengestell, die über den Umweg Warhols ihren Weg zwischen die stabilen, klarlackversiegelten Jugendmöbel der Achtzigerjahre und die damals beliebten Poster mit der glitzernden Skyline Manhattans fanden: Es war das ganze Werk Hesses, das mit seinen gänzlich unironischen, aber immer gefühlvollen Einlassungen zum Drama der geknechteten jugendlichen Seele von „Peter Camenzind“ bis zur nachgelassenen Prosa die Weihen der Popkultur erhielt.

Lesen musste man Hesse dafür praktischerweise nicht mehr. Im Nachhinein markiert die Kollaboration von Suhrkamp und Andy Warhol darum den Punkt, an dem die Fans des Schriftstellers sich von seinen Büchern verabschiedeten. Die einen, die früher Hesse gelesen hatten, um in seinen Texten sinnliche Wege in die Transzendenz zu finden, wandten sich zu der Zeit bekanntlich verstärkt den stetig wachsenden esoterischen Abteilungen der Buchhandlungen zu. Die anderen, die vielleicht irgendwann einmal Hesse gelesen hätten, hielten sich von nun an an die Ikone – und damit an das Plakat, das inzwischen längst kein reines Werbematerial mehr ist. Wer es sich in diesen Tagen unbedingt noch in sein Zimmer hängen will, kann es nämlich nicht einfach beim Buchhändler abstauben, sondern muss dafür bares Geld bezahlen.

Hermann Hesse, der heute auf den Tag vor 125. Jahren geboren wurde und unter anderem der Welt des Konsums kritisch gegenüberstand, hätte das vermutlich nicht gefallen.

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