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„Ich bin ein Bavarian“

Der Dokumentarfilmer D.A. Pennebaker, der mit „Hier Strauss“ dem Direct Cinema eine ganz besondere Note gab, kommt wieder ins Fernsehen

von THOMAS PAMPUCH

Im Jahre 1954 filmt ein junger Vater seine dreijährige Tochter mit einer Schmalfilmkamera. Sie rennt durch den Central Park, und er läuft ihr hinterher. Bald merkt er, dass sich die Tochter nicht für seine Filmerei interessiert, sondern zum Beispiel für ein Karussell. Und er merkt, dass es höchst interessant ist, hinter ihr herzurennen und sie zu filmen. Wer auch nur ein paar von Donn Alan Pennebakers 120 Filmen gesehen hat, erkennt, dass er die letzten 50 Jahre im Wesentlichen das gemacht hat, was er damals mit seiner kleinen Tochter zum ersten Mal übte: hinter jemandem herzurennen und dabei die Kamera draufzuhalten: „See what happens.“

Ein schöner Titel für Gerold Hofmanns Film über Pennebaker und Chris Hegedus – seine Partnerin und Frau seit 25 Jahren. Zu sehen war er auf dem Münchner Filmfest, dessen besonderer Reiz in einer „Hommage an Pennebaker und Hegedus“ mit sieben ihrer wichtigsten Filme lag. Die Bayerische Staatsregierung ließ sich nicht lumpen und verlieh den beiden den Ehrenpreis des Bayerischen Dokumentarfilmpreises, bei dessen Überreichung Pennebaker sich zu einem „Ich bin ein Bavarian“ hinreißen ließ. Dazu hatte er schon deshalb das Recht, weil er vor mehr als 35 Jahren mit seiner Kamera sowohl hinter Kennedy wie auch hinter F. J. Strauß hergerannt ist. Außerdem kümmert sich kein deutscher Sender so engagiert um die Pennebakers wie das Bayerische Fernsehen.

Unkontrolliertes Kino

„Primary“, 1960 mit Richard Leacock gedreht, beschreibt das Duell zwischen John F. Kennedy und Hubert Humphrey im Vorwahlkampf. „Hier Strauß“, entstand 1965 als eine kleine Auftragsarbeit fürs Deutsche Fernsehen (und wurde erst 1995 vom BR wiederentdeckt). Heute gesehen wirken beide Filme wie der Blick in einen historischen Guckkasten, Lichtjahre vom üblichen TV-Journalismus entfernt. Keine Statements, keine Interviews, nichts ist inszeniert. Im Zeitalter von Home-Video mag das als nichts Besonderes erscheinen. Damals, als Pennebaker, Leacock und ein paar andere mit selbst umgebauten 16-mm-Kameras auf der Schulter loszogen, war es revolutionär: „Direct cinema“, „uncontrolled cinema“.

Doch auch die neueren Filme wirken auf eine merkwürdige Weise wie historische Quellenforschung. Wie man überhaupt die Arbeit der Pennebakers als eine Art geplante und doch intuitive Herstellung von Zeitdokumenten charakterisieren könnte. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass sich die beiden Filmemacher immer wieder hinter Leute geklemmt haben, die später sehr erfolgreich oder gar zu Legenden wurden: Politiker wie John und Robert Kennedy etwa, Schriftsteller wie Norman Mailer und Germaine Greer bei ihrem berühmten Disput über Women’s Lib von 1971 („Town Bloody Hall“), Musiker wie David Bowie („Ziggi Stardust“, 1973) und Jimi Hendrix, der in „Jimi Plays Monterrey“ (1985) seine Gitarre zertrümmert. Und natürlich Bob Dylan. „Don’t Look Back“ (1965) ist Pennebakers berühmtester Film und selbst eine Legende.

Das Eigentümliche all dieser Filme ist die Perspektive. Jeder guckt gerne hinter die Kulissen, spielt gerne Mäuschen, freut sich, wenn er backstage dabei sein darf. Die Pennebakers nehmen uns mit, ohne dass wir (oder sie) auffallen. Man mag das Schlüsselloch- oder Groupie-Perspektive nennen – und natürlich spielen die beiden mit der Neugier, die auch sie selbst immer wieder in die Hinterzimmer oder hinter die Bühne treibt.

Der „behind the scenes“- Ansatz der Pennebakers funktioniert heute genauso wie damals. Das gilt für den berühmten „War room“ (1993), der den Wahlkampfmanagern des späteren Präsidenten Clinton über die Schulter guckt und es gilt für „startup.com“ (2000) von Chris Hegedus und Jehane Noujaim, die zwei junge Dotcommer über ein Jahr lang durch ihren New-Economy-Rausch begleiten, bis nicht nur ihre Firma in die Binsen geht, sondern auch ihre Freundschaft. „startup.com“ dürfte zu einem Realklassiker über den Internethype werden, der noch Generationen als Lehrstück dienen wird. (Arte zeigt ihn und „See what happens“ bald auf einem Themenabend.)

Der Film zur Musik

Auch ihre jüngsten Musikfilme sind schon Klassiker. Wer Country & Western mag, wird sich über „Down From The Mountain“ (Sa, 22.45 Uhr, BR) freuen, einen kleinen, fast intimen Film über den Konzertabend in Nashville, bei dem der Soundtrack für den Film „Brother Where Art Thou“ zusammengemixt wurde. Einer der wirklich fetzigsten Filme der letzten Jahre aber ist „Only The Strong Survive“. Wenn Pennebaker/Hegedus hinter Soul-Legenden wie Wilson Pickett und Mary Wilson her sind, lohnt es sich, to „see what happens“.

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