: „Das ist eine Schlamperei von Ullrichs Rennstall“
Warum der Göttinger Sportwissenschaftler Arnd Krüger (58) Jan Ullrichs Geschichte glaubt und Lance Armstrong für den intelligenteren Fahrer hält
taz: Herr Krüger, wie betrunken muss ein Profisportler sein, dass er eine Tablette von einem Fremden nimmt?
Arnd Krüger: Wenn man sich in einem Umfeld bewegt, in dem man gewohnheitsmäßig alle möglichen Tabletten als Nahrungszusatz nimmt, wenn man eine Menge getrunken hat, wenn man deprimiert ist und zwei Tabletten als Stimmungsaufheller bekommt – ich halte das nicht für ungewöhnlich, dass jemand die dann auch nimmt.
War es Doping?
Wenn sich jemand aus dem verbandlichen Untersuchungssystem nicht abgemeldet hat und für bestimmte Medikamente auch kein Attest hat, dann fällt das unter Doping. Es ist eine Schlamperei von Ullrichs Rennstall. Der hätte ihn ja ohne weiteres nach seiner Operation vom verbandlichen Untersuchungssystem abmelden können. Das ist versäumt worden, deshalb fällt er unter die ganz normalen Trainingskontrollen. Auch der Verband hat sich nicht weiter darum gekümmert. Denn eine Trainingskontrolle unmittelbar vor Start der Tour de France macht Sinn. Wenn alle pennen, dann kommt eben so etwas heraus.
Wäre Ullrich abgemeldet worden, hätte es keine Probleme gegeben?
Nach einer Operation gibt es Medikamente, die man legal nehmen kann, wenn man dafür ein Attest hat. Aber für Amphetamine gibt es kein Attest. Es mag Atteste für Psychopharmaka geben, die Amphetamine enthalten. Aber sein Klinikleiter hat abgestritten, ihm so etwas verordnet zu haben. Nun geht man auch nicht in eine orthopädische Klinik, wenn man psychische Probleme hat. Von daher kann man Ullrichs Geschichte glauben. Sie ist auch hinreichend blöd.
Wird im Radsport mehr getestet als anderswo?
Zum einen sind die Radsportler während der Saison fast jeden Tag in einem Rennen. Da der Profiradsportzirkus eine überschaubare Größe darstellt, kommen pro Kopf mehr Untersuchungen heraus. Zum Zweiten: In Belgien, Frankreich und Italien ist Doping gesetzlich unter Strafe gestellt. In diesen wichtigen Radsportnationen wird generell mehr und rigider kontrolliert.
Wo ist die Grenze zu ziehen zwischen dem Privatleben eines Sportlers und seiner öffentlichen Funktion?
Ein Berufssportler hat kein Privatleben. Es sind schon andere Sportler drangekommen wegen Kokain- oder Marihuanakonsums, obwohl beide im Hinblick auf Leistungssteigerung eher das Gegenteil bewirken.
Wird sich Ullrich erholen?
Als Ullrich bei der letzten Tour de France gegen Lance Armstrong gefahren ist, sah man ganz deutlich den unterschiedlichen Fahrstil. Ullrich fuhr mit ungefähr sechzig Umdrehungen pro Minute, Armstrong mit einer Frequenz zwischen neunzig und hundert Umdrehungen. Wenn man dauernd mit einer höheren muskulären Belastung fährt, hat man zwei Risiken. Zunächst: Man übersäuert schnell. Die Übermüdungsstoffe müssen über die Muskelkontraktion in den Oberkörper transportiert werden, um abgebaut zu werden. Fährt man mit sechzig Umdrehungen, hat man sechzig Kontraktionen. Bei hundert Umdrehungen sind es eben hundert. Da ist Lance Armstrong schlicht intelligenter. Zweites Problem: Wenn Ullrich nicht mehr so belastbare Menisken hat, muss er die Belastung im Einzelfall reduzieren. Das heißt, er muss schneller treten.
Warum macht er das nicht schon längst?
Das hat man in der DDR wenig berücksichtigt, weil man den Leuten früher einfach Anabolika gegeben hat – da hat man manche Probleme nicht. Nun will ich nicht behaupten, dass Jan Ullrich mit Anabolika in irgendeiner Weise zu tun hatte. Aber es war Teil der DDR-Trainigslehre, mit Anabolika vieles zu kompensieren. Dass Ullrich weiter quasi seinen Privattrainer hat, statt sich einfach in den Teil seines Rennstalls einzuklinken, der belgisch geprägt ist, das kann ein Teil des Problems sein. Aber das ist natürlich Spekulation.
INTERVIEW: STEFAN KUZMANY
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