: „Bildung ersetzt keinen Rhythmus“
Mit „Tanz den Mussolini“ hatten die Elektronikpioniere Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF) 1981 ihren größten Hit. Heute planen Gabi Delgado und Robert Görl ein Comeback. Ein Gespräch über Musik und Maschinen, von Disco bis Techno
von TILMAN BAUMGÄRTEL
taz: Euer großer Hit „Tanz den Mussolini“ war nicht nur einer der ersten komplett mit Synthesizern produzierten Songs in den deutschen Charts, im Unterschied zu Elektroklassikern wie „Die Roboter“ von Kraftwerk habt ihr auch auf herkömmliche Songstrukturen verzichtet. Darum werdet ihr von vielen Musikern als Pioniere betrachtet. Wie seht ihr das?
Robert Görl: Ich glaube, wir haben schon sehr viel umgekrempelt in der Musikszene. Wir haben keine klassischen Songs mehr geschrieben, mit einer Einleitung, einer Strophe und einem Refrain. Bei uns war die Musik von Anfang an Track-orientiert und basierte auf Loops, also auf diesen monotonen Wiederholungen. Wir wollten damals die ganze Musik auf die kleinsten noch möglichen Zellen reduzieren. Techno heute ist nichts anderes als das, was wir vor zwanzig Jahren begonnen haben.
Wie würdet ihr das Prinzip eines Loops beschreiben?
Görl: Ein Loop ist eine ganz kleine musikalische Einheit, die immer wieder wiederholt wird. Eine Art kleine Melodie, die aber schon nach etwa zwei Sekunden abgeschlossen ist und sich dann immer wieder wiederholt. Bei einem guten Loop ist diese Melodie so heiß, dass sie lebendig bleibt und nicht nervt.
Gabi Delgado: Dazu passten auch diese minimalistischen Texte, ähnlich wie im Techno, wo man ja auch nur zwei, drei Sätze sampelt. Ich habe die halt nicht mit dem Computer gesampelt, sondern selbst wiederholt. Der klassische Loop ist eigentlich eine Tonbandschlaufe, ein Endlosband. Wir haben damals im Studio einige Bandloops kreiert. Die Tonbänder gingen oft durch den ganzen Raum, vom Tonbandgerät über einen Mikrofonständer und zurück.
Aber Stücke wie der „Mussolini“ sind mit einem Sequencer gemacht worden – also mit einem Synthesizer, dem man sich wiederholende Melodien einprogrammieren kann?
Delgado: Ja. Ein Sequencer ist auch ein Loop, aber ein elektronischer. Ein Sequencer hat nur eine bestimmte Laufzeit, und ab da wiederholt sich die Tonfolge. An einem Computer kann man diese Tonfolge dauernd verändern, ein Tonbandloop verändert sich dagegen nicht mehr.
Wieso, glaubt ihr, war es Anfang der 80er-Jahre plötzlich möglich, mit so monotoner Musik so erfolgreich zu werden?
Görl: In Deutschland und in anderen europäischen Ländern gab es so eine Stimmung, dass die alte Rockmusik ausgelatscht war. Die Leute wollten diese Klampfenbands nicht mehr. Viele waren auf der Suche. Da lag was in der Luft, und das wurde durch uns befriedigt.
Diese Wiederholungen der Loops widersprechen aber eigentlich unserer ganzen europäischen Musiktradition, bei der Melodien im Vordergrund stehen. Warum waren die Leute damals plötzlich offen für etwas Neues?
Delgado: Das ist die Trance. Man weiß, dass stark repetitive Muster einen mental weiter wegführen als Musik mit komplizierten Bridges und Breaks und Gitarrensolos. Das geht von Sufi-Tänzern bis zu Buschtrommeln. Und das hat sich ja inzwischen auch in der europäischen Musik durchgesetzt.
Görl: Damals war das wirklich eine Veränderung, fast eine Revolution. Das hat man auch an den Medienreaktionen gesehen. Manche haben gefragt: Dürfen die das überhaupt? Das hat ja keine Struktur! Das ist keine Musik!
Delgado: Und „Tanz den Mussolini“ durfte im Bayerischen Rundfunk nicht gespielt werden, weil da Jesus und Adolf Hitler in einem Atemzug genannt wurden. Lustigerweise kamen viele dieser Bestrebungen von Linksliberalen, von 68ern. Humanité in Frankreich hat zum Beispiel gegen „diese deutsche Band“ gewettert. Am Anfang haben wir keinen Plattenvertrag gekriegt und keine Auftritte, weil das niemand verstanden hat. Selbst der Bandname war schwierig. Später haben die Plattenfirmen in ihrer grenzenlosen Dummheit alles gekauft, was irgendwie deutsch und schräg klang. Das war dann die „Neue Deutsche Welle“, furchtbar. In den 80er-Jahren gab es ja ganz viel schlimmes Zeug: Neondreiecke, Schulterpolster. Die Eighties werden jetzt so abgefeiert wie die coolste Zeit, aber das einzig Interessante an den 80er-Jahren war die technische Revolution, die damals anfing – nämlich dass der Computer die Welt erobert hat.
Hat die Technik auch den Einsatz von Loops bedingt? Ist es bei Synthesizern nicht nahe liegend, zu solchen repetitiven Formen zu kommen?
Delgado: Ja, das liegt auf der Hand. Man wäre blöd, wenn man das nicht machen würde. Da hätte jeder drauf kommen müssen. Das ist so, wie wenn man immer wieder Schuhe macht und früher oder später darauf kommt, dass da Schnürsenkel gut wären.
Musikalische Experimente mit Wiederholungen gab es vorher schon in der E-Musik, zum Beispiel bei Satie und später in der Minimal Music. Wusstet ihr von diesen Experimenten?
Delgado: Ich kannte Satie als junger Punk nicht. Und als wir angefangen haben, haben wir alles, was uns an etwas anderes erinnert hat, nicht gemacht – selbst wenn es gut war. Wir haben gesagt: „Weg damit! Wir müssen was Neues machen!“ Ich habe damals meine Platten zensiert. Ich habe alle Stücke, an denen nichts Neues war, mit der Schere zerkratzt, damit man sie nicht mehr hören konnte.
Görl: Ich wusste schon ein bisschen über die klassische E-Musik und dass da auch schon mit Minimalismus und Monotonie experimentiert worden war. Ich hatte ja Musik studiert. Für uns war aber vor allem wichtig, dass unsere Musik tanzbar war. Andere Leute mögen schon vor uns mit Loopstrukturen gearbeitet haben. Aber das war nicht zum Tanzen geeignet, nicht tauglich für den Körper. Wir wollten keine Experimentierband sein, die irgendwelche elektronischen Klangstrukturen schafft.
Wie wichtig war Disco als Einfluss für DAF?
Delgado: Das wichtigste Erlebnis meiner Kindheit war „I feel love“ von Donna Summer, mit diesem Sequencer von Georgio Moroder für 20 Minuten. Als ich das mit 15 gehört habe, mit Strobo und allem, das war mein erstes und schönstes Disco-Erlebnis. Das war Tanzmusik, das war Sex plus Sequencer. „I feel love“ ist sehr weit vorne gewesen. Das ist für mich die wichtigste Platte der 70er- und 80er-Jahre, nicht Clash oder Devo oder die Talking Heads.
Disco galt in den 70er-Jahren bei vielen als Idiotenmusik …
Delgado: Das ist die Ignoranz der Intelligenzija, dass sie gerne körperlos sein möchte. Bei Techno wurde ja am Anfang auch gesagt, dass das prollige Musik sei. Aber wenn die große Trommel acht Stunden am Stück wummert, dann funktioniert das schon. Da darf man nicht so arrogant sein und glauben, Bildung könnte einen guten Rhythmus ersetzen.
DAF waren ja mal eine richtige Band, mit bis zu sechs Mitgliedern …
Görl: Ursprünglich waren wir eine Zweierband. Gabi und ich haben im Keller des Punkclubs Ratinger Hof in Düsseldorf zum ersten Mal zusammen musiziert, mit Schlagzeug und einem Stylophon. Das war so ein elektronisches Spielzeug.
Wir sind dann aber erst mal den konventionellen Weg gegangen. Wir kannten ja Musiker, mit denen wir dann erst mal eine Band zusammengestellt haben. Es hat sich aber schnell herausgestellt, dass das nicht unser Ding war. Und deswegen ging dann einer nach dem anderen, und wir waren wieder zu zweit. Wir hatten ja die Maschinen, die wir für unsere Musik brauchten.
Die Menschen gingen, die Maschinen blieben …
Delgado: Das ist ja die große Geschichte der letzten dreißig Jahre. In den Fabriken, in den Büros, überall … (lacht)
Wenn ihr schon alle anderen Menschen durch Maschinen ersetzt habt, warum dann nicht auch den Schlagzeuger?
Görl: Das war auf der Bühne ein guter Showeffekt: Mensch und Maschine zusammengekoppelt. Wir haben Hightechmusik gemacht, und das mit dem echt und schwitzend gespielten Schlagzeug zusammen: Das kam gut an. Aber ich musste auf der Bühne genau mit den Maschinen im Takt spielen, das war brutal. Da kann man kein Hundertstel hinterherhinken, denn das hört man sofort.
Wie sah denn ein Livekonzert von euch damals aus?
Delgado: Wir hatten zwanzig Kassettenrekorder, und in jedem Rekorder war eine Kassette. Robert hat Schlagzeug gespielt, und ich habe gesungen. Das war alles. Damals konnte man sich halt noch nicht mit einem Laptop auf die Bühne stellen. Aber das Publikum hat das geliebt. Wenn ein Stück vorbei war, haben sie gerufen: „Zurückspulen!“ Dann mussten sie warten, bis die Kassette wieder am Anfang war.
20 Jahre sind in der Popmusik eigentlich eine lange Zeit. Ihr werdet nun bei der Love Parade erstmals wieder auftreten. In der elektronischen Musik gibt es interessanterweise solche Kontinuitäten …
Delgado: Es gibt eben Sachen, die brennen lange, weil sie auch außerhalb ihrer Zeit etwas bedeuten. James Brown kannst du auch immer noch auflegen.
Anders als andere Neue-Deutsche-Welle-Hits hört man den „Mussolini“ auch heute noch kaum im üblichen Radioprogramm. Da passt er heute noch nicht ins Programm …
Delgado: Stimmt. Durch Techno sind viele Sachen in den gesamtgesellschaftlichen Korpus eingedrungen, aber nicht alles. Wir wollten immer so eine gefährdete Maschine haben, die kurz vor dem Absturz steht. Nicht die langweiligen, cleanen Sounds, wie bei anderen Elektronikbands. Gruppen wie Kraftwerk haben sich ja gerne mit Sauberkeit umgeben: bloß nicht schwitzen. Das ist auch ein Konzept, aber das wollten wir nicht.
Wir wollten ein Raumschiff, das fast abstürzt. Da brennt schon der linke Flügel! Hoffentlich geht das gut! Wir wollten immer das Abenteuer, auch in der Musik.
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