: Unzensiert ist eben unzensiert
Am Nahost-Konflikt scheiden sich sogar die hellsten Geister: In Hamburg wurde ein freier Radiosender abgeschaltet, selbst unabhängige Medien wie das renommierte Internet-Netzwerk Indymedia werden von der Antisemitismus-Debatte gelähmt
von PETER NOWAK
Beim Freien Senderkombinat (FSK), einem nichtkommerziellen Hamburger Radiobetreiber, wurde in der letzten Woche ein mindestens einmonatiges Sendeverbot für die hauptsächlich von MigrantInnengruppen betriebene Sendung „Afrika, Asien, Lateinamerika – in Kontakt“ ausgesprochen. Damit hat die Anbietergemeinschaft Konsequenzen aus einer seit drei Monaten schwelenden Auseinandersetzung gezogen. Nachdem am 11. April im Rahmen der Sendung ein in Deutschland lebender Palästinenser über die Situation im Nahen Osten interviewt wurde, warfen ihm Kritiker im Sender strukturell antisemitische Äußerungen vor.
Vor allem seine Vergleiche der Politik Israels mit den Nationalsozialisten werden moniert. So erklärte der palästinensische Interview-Partner: „Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen den Kämpfen im Warschauer Ghetto damals gegen die Nazis und die Kämpfe in Dschenin oder in irgendeinem anderen Flüchtlingslager der Gegend.“ Ebenso kritisiert wurde seine Erklärung zur jüdischen Gemeinde: „Ich vermisse aber, dass Herr Spiegel klare Worte gegen die israelische Besetzung, gegen die israelische Ermordung von Zivilisten findet.“ In diese Aussage werden Paul Spiegel als Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland und mit ihm alle „unsere jüdischen Mitbürger“ zu VertreterInnen Israels gemacht, heißt es in einem Schreiben mehrerer FSK-Sendegruppen. Dem Moderator werfen sie vor, die Aussagen des Palästinensers nicht nur unwidersprochen stehen gelassen, sondern noch mit eigenen Worten bekräftigt zu haben. Nachdem die „In Kontakt“-Redaktionsgruppe die Kritik ignorierte und ihre Sendungen weiter ausstrahlte, wurde ihnen Anfang Juni von Mitgliedern anderer FSK-Gruppen der Zugang zum Sender verweigert. Es kam zu Rangeleien und körperlichen Auseinandersetzungen, bei denen sich nach Berichten von Augenzeugen vor allem Männer aus dem „In Kontakt“-Spektrum hervorgetan hatten. Danach war das Tischtuch zwischen den beiden Fraktionen endgültig zerschnitten. Ob mit dem Sendeverbot die Auseinandersetzung beendet sein wird, ist fraglich. Die nun zwangsweise zum Schweigen Verurteilten haben schon Widerstand angekündigt. „Durch Machtmissbrauch und antidemokratisches Verhalten einiger wird das freie Radio für alle zerstört“, lautet ihre Version der Ereignisse. Rassismusvorwürfe werden strapaziert, und einige MigrantInnensendungen haben aus Protest ihre Arbeit vorerst eingestellt.
Auch das unabhängige Internet-Netzwerk Indymedia ist in der letzten Zeit in den Sog des Nahost-Konflikts geraten. Nachdem der Schweizer Indymedia-Zweig monatelang wegen einer Auseinandersetzung um antisemitische Texte abgeschaltet war, ist Ende Juni Indymedia-Frankreich nach wochenlangen Auseinandersetzung über die politisch korrekte Sicht auf den Nahost-Konflikt für unbestimmte Zeit vom Netz gegangen. Auslöser dieses Streits waren Beiträge des auch für die Palestinian Times arbeitenden Journalisten Khaled Amayreh, in denen die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit der NS-Politik gegenüber den Juden verglichen wurde. Was manche Mitarbeiter des französischen Indymedia-Kollektivs als überspitzte, aber zulässige Kritik an der israelischen Politik klassifizieren, hatte für andere die Grenze zum Antisemitismus eindeutig überschritten. Während eine Fraktion an den Indymedia-Grundsatz der unzensierten Information erinnerte, warnte andere Gruppen davor, im Namen der Meinungsfreiheit antisemitische und revanchistische Texte bei Indymedia zu tolerieren.
Bei Indymedia-Deutschland will man eine solche Debatte ausgerechnet mit Zensur verhindern. „Wir haben uns entschieden, der innerdeutschen Pseudo-Debatte über Antisemitismus solange kein Forum zu bieten, wie sie kein Interesse an konstruktiver Auseinandersetzung zeigt.“ Mittlerweile haben sich die Opfer der Indymedia-Zensur allerdings unter www.antisemitismusstreit.tk ihren Platz im Internet gesichert – und beschuldigen Indymedia-Deutschland, Zensur gegen antisemitismuskritische Beiträge auszuüben.
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