: Ein akutes Müllproblem
Den Stadtreinigungsbetrieben stehen 4.000 Euro vom Obdachlosenprojekt Motz zu – für die Müllentsorgung eines Hauses, aus dem die Initiative längst ausgezogen war. Nach einem erfolglosen Prozess droht nun auch der Straßenzeitung Insolvenz
von WOLF VON DEWITZ
Der Berliner Obdachlosenzeitung Motz droht das Aus. Ab dem 27. Juli können die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) nach einem Prozess wegen ausstehender Müllgebühren ungehindert die Spendenkonten des Obdachlosenprojekts pfänden. Das bedeutete die sofortige Zahlungsunfähigkeit.
Das Projekt Motz gibt es seit 1995 und besteht aus viel mehr als der Straßenzeitung, die monatlich in U- und S-Bahnen verkauft wird. Die Initiative betreibt auch eine Notunterkunft in der Weserstraße, ein Antiquariat in Friedrichshain und eine Trödelhalle in der Zossener Straße. Das gesamte Projekt muss ohne staatliche Zuschüsse auskommen und finanziert sich vorwiegend über Spenden. Pfändet die BSR, müsste es aufgrund der gesamten Schuldenlast von 8.000 Euro Insolvenz anmelden.
Dabei handelt es sich um ein tatsächliches Müllproblem. Als Motz 1996 seine Notunterkunft mit 20 Betten in der Kleinen Hamburger Straße in Mitte anmietete, übernahm es einen bestehenden Müllentsorgungsvertrag mit der BSR. Ende 1997 zog das Projekt nach Querelen mit den Nachbarn in die Tieckstraße in Prenzlauer Berg. Der ehrenamtliche Geschäftsführer Wolfgang Terner rief bei der BSR an – wie erwartet wurde daraufhin ein Müllcontainer an der neuen Adresse aufgestellt. Erst drei Jahre später kam das böse Erwachen: Den Motzlern wurde ein Mahnbescheid zugestellt, wonach sie 4.100 Mark für die monatliche Entsorgung eines Containers an ihrer alten Adresse zu bezahlen hatte. Obgleich doch gekündigt worden war – telefonisch.
„Das Telefonat war ein Fehler“, weiß Terner heute, „denn Vertrag ist Vertrag, und der muss schriftlich gekündigt werden.“ Dennoch wollte man sich das „doppelte Abkassieren“, so Terner, nicht gefallen lassen – die Müllentsorgung am neuen Sitz Tieckstraße wurde nämlich ordnungsgemäß bezahlt. Der Anwalt Helge Meier vertrat Motz im anschließenden Zivilprozess – ohne Honorar, doch erfolglos. „Nichts hätte näher gelegen, als dass ein BSR-Mitarbeiter zum Telefonhörer greift und bei Motz nachfragt: Wieso bezahlt ihr denn nicht?“ Zumal die Motz Entrümpelungs-GmbH Großkunde bei der Stadtreinigung sei. Stattdessen drei Jahre Schweigen.
„Die ließen sie ins offene Messer laufen“, erklärt Rechtsanwalt Meier. Schließlich kam der Mahnbescheid, Motz erklärte Widerspruch, es kam zur Verhandlung. Das Gericht verurteilte Motz zur Zahlung des stetig anwachsenden Betrages: 4.000 Euro sind es nun, Rechnung plus Gerichts- und Anwaltskosten.
Höchste Zeit für einen Hilferuf an Wirtschaftssenator Gregor Gysi, in dessen Ressort auch die Stadtreinigung fällt. Terner versuchte gestern Morgen, dem Senator vor seinem Amtszimmer ein Bittschreiben zu übergeben. „Wir möchten Sie um Ihre Unterstützung und um Gerechtigkeit bitten“, heißt es in dem Brief. Doch er wurde zunächst enttäuscht: Gysi ist im Urlaub.
Am Nachmittag nahm Pressesprecherin Brigitte Schmidt Stellung. „Der Wirtschaftssenator kann nicht direkt anweisen“ – die BSR unterliege als Anstalt des öffentlichen Rechts nicht unmittelbar dem Zugriff des Senators. Doch man versuche, Gespräche anzuschieben.
BSR-Sprecherin Sabine Thümler zeigte sich verwundert über das Vorgehen von Motz. „Es wäre schön, wenn die Motz endlich einmal auf uns zugehen würde.“ Das sei bisher noch nicht geschehen. Die BSR ziehe derzeit eine Pfändung überhaupt nicht in Betracht, „denn das würde das Projekt in Gänze gefährden“, so Thümler. Man sei bereit, über Ratenzahlungen zu reden.
Das Recht ist in diesem Fall eindeutig auf Seiten der BSR. Das ist nicht immer so: Als das Motz-Wohnprojekt im April 2000 in die Weserstraße in Friedrichshain zog, beanspruchte die BSR Ende des Jahres abermals die Weiterbezahlung des Müllcontainers an der alten Adresse. Doch die Motzler hatten aus ihren Fehlern gelernt und schriftlich gekündigt. Noch vor Prozessbeginn nahm die BSR ihre Forderung zurück, berichtet Rechtsanwalt Meier.
Die finanziellen Forderungen erreichen das Obdachlosenprojekt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Denn wegen der Sommerferien „fahren wir an allen Fronten Verluste ein“, so der Motzler Gehrmann. Trödelhalle und Antiquariat laufen schlecht, und der Entrümplungsdienst bekommt keine Aufträge.
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