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Prozess gegen Entführer geplatzt

Der Stiefvater der ermordeten Adelina verweigert im Prozess gegen seine mutmaßlichen Geiselnehmer die Aussage. Jetzt besteht kein „dringender Tatverdacht“ mehr. Ob und wie der Prozess fortgeführt wird, ist unklar

Die Wende kam unerwartet. „Ich höre jetzt auf zu reden“, erklärte der Stiefvater der ermordeten Adelina gestern nach knapp zweistündiger Vernehmung vor dem Bremer Landgericht. Zeuge weg, Klage wackelt – Richter und Staatsanwalt saßen da wie begossene Pudel. Der Prozess gegen die beiden Männer, die den 32-jährigen Deutschrussen am 1. Oktober letzten Jahres entführt und misshandelt haben sollen, steht vor dem Scheitern. Angeblich hatten die Männer von Sergej Z. ein Geständnis zum Mord an seiner Stieftochter erpressen wollen. Richter Klaus-Dieter Schromek war betreten: „Das ist für uns alle eine überraschende Situation.“ Und: „Wie das Verfahren weiter zu führen sein wird, vermögen wir noch nicht zu sagen.“

Geiselnahme und schwere Körperverletzung wirft die Staatsanwaltschaft den 47 und 51 Jahre alten Angeklagten Harry K. und Johann M. vor. Wenige Tage bevor die Leiche seiner ermordeten Stieftochter in einem Wäldchen südlich von Bremen gefunden wurde, sollen die beiden Männer zusammen mit drei noch unbekannten Mittätern Z. in einen Wald verschleppt, ihn dort an einen Baum gefesselt, stranguliert, geschlagen, getreten und mit dem Tode bedroht haben. Z. konnte sich befreien und zu einer Tankstelle schleppen. Er wurde mit Rippenbrüchen, inneren Verletzungen, einem Messerstich im Gesäß und einer Gehirnerschütterung ins Krankenhaus eingeliefert. Die Angeklagten wiesen die Vorwürfe vehement zurück.

Sergej Z. hatte die beiden bei Befragungen durch die Polizei schwer belastet und M. bei einer Gegenüberstellung angeblich als einen seiner Peiniger wiedererkannt. Weil die Beschuldigungen nicht in Anwesenheit eines Richters gemacht wurden, darf das Gericht diese Aussagen allerdings nicht verwerten.

Jetzt sei es schwer, überhaupt eine Verbindung zwischen den Angeklagten und der Tat herzustellen, gab der Vorsitzende Schromek zu. Mangels weiteren „dringenden Tatverdachts“ hob die Kammer deshalb den Haftbefehl gegen K. auf, der sechs Monate in Oslebshausen in Untersuchungshaft gesessen hatte. Die Verteidigung warf der Staatsanwaltschaft vor, „nur einseitig“ ermittelt zu haben.

Z. hatte vor Gericht zunächst knapp zwei Stunden lang geschildert, wie ihn seine Ex-Frau, die Mutter der ermordeten Adelina, am Abend des 1. Oktober 2001 angerufen und um ein Gespräch gebeten habe. Sie sei dann in Begleitung von M. bei ihm zuhause erschienen. M. sei nach ein paar Minuten wieder gegangen und mit vier Kumpanen zurückgekehrt. Die Männer hätten verlangt, er solle sie zu zwei Ukrainern führen, die sie verdächtigten, etwas mit dem Verschwinden von Adelina zu tun zu haben. Nach einer Verhandlungspause erklärte Z., er befürchte, mit seinen Aussagen seine Ex-Frau und damit seine Tochter in Schwierigkeiten zu bringen. „Der hat Angst gekriegt“, mutmaßte Staatsanwalt Winfried Braun. Er sei davon ausgegangen, dass Z. aussagen werde, weil er auch gegenüber der Polizei Angaben gemacht habe. Dass diese beim Verhör vergessen hatte, Z. auf sein Aussageverweigerungsrecht aufmerksam zu machen, war den Staatsanwälten nicht aufgefallen.

Der Prozess wird am 1. August fortgesetzt. Im Zuge der Verhandlung aufgetauchte Gerüchte, die zehn Jahre alte Adelina sei Opfer von Organhändlern geworden, wies die Kripo indes zurück. „Dafür gibt es definitiv keine Hinweise“, betonte Sprecher Heiner Melloh. Armin Simon

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