piwik no script img

Fehler vom Werk

Napster ist tot, aber solange andere Tauschbörsen im Netz weiterleben, gibt die Musikindustrie ihren Kampf nicht auf: Die neusten Kopierschutzsysteme verletzen den technischen Standard der CD

von MATTHIAS SPITTMANN

Was ist eine CD? Eine Frage, die so kompliziert nicht scheint: Eine Scheibe, 1 Millimeter dick, 12 Zentimeter Durchmesser, eine Seite silbern, Loch in der Mitte und viele winzige Berge und Täler drauf, die im Licht schön bunt schimmern und digital codierte Musik enthalten.

Wenn es mal so einfach wäre. Dann wären Initiativen wie „Rettet die Privatkopie“ (www.privatkopie.net) arbeitslos. Der CD-Erfinder Philips möchte die Bezeichnung „Compact Disc Digital Audio“, wie das Kind bei vollem Namen heißt, um einen Punkt ergänzen: Eine CD ist nur dann eine CD, wenn sie dem „Red-Book“-Standard entspricht, also in jedem standardkompatiblen Laufwerk abspielbar ist.

Genau das gilt für immer mehr CDs in den Geschäften immer weniger. Beabsichtigter Effekt: Eigene Kopien der Musik, die man einer der mehr oder weniger zahlreichen Peer-to-Peer-Gemeinden zur Verfügung stellen kann, sollen nicht mehr möglich sein. Nebeneffekt: Die Silberlinge sind, sofern der Kopierschutz denn wirkt, nicht nur nicht am Computer kopierbar, sondern auch nicht abspielbar. Das gilt bereits für viele CD-Player, die älter als zwei Jahre sind. Ebenso aber auch für Modelle, die so modern sind, dass sie zusätzlich DVD- und MP3-Daten verarbeiten können, oder im Autoradio auch gleich das Navigationssystem versorgen.

Und die schlimmsten Exemplare der gefälschten CDs bringen den Computer ohne Vorwarnung zum Absturz. Wer beim Arbeiten gerne Musik hört, sollte sich vor dem Einlegen eines solchen Hochsicherheitsprodukts das Zwischenspeichern seiner Dokumente angewöhnen. Besitzer der bunten iMac-Rechner sind gar doppelt dumm dran: Sie dürfen sich nach dem Absturz noch ausdenken, wie sie CDs wie Celine Dions „A New Day Has Come“ wieder aus dem Laufwerk rausbekommen. Es kursieren zwar einige Anleitungen dafür, regelmäßig jedoch versehen mit dem Hinweis, dass die verschiedenen Methoden nur bei manchen Rechnern funktionieren. Im Zweifel hilft der nette Computerhändler für rund 50 Euro.

Immerhin ist eine solche besonders hart kopiergeschützte CD regelmäßig erkennbar: Ein Hinweis besagt, dass sie nicht am PC/Mac abspielbar sei – von einem Systemabsturz steht da allerdings nichts –, und das originale CD-Logo fehlt bei Celine Dions neuem Tag auch. Offensichtlich ist den Plattenverlegern von Sony die krasse Verletzung des Industristandards doch zu heiß geworden.

Denn – noch – ist die CD patentgeschützt, und Philips als Verwalter der Patentrechte hat sich auf die Seite der Konsumenten geschlagen: „Das sind Silberscheiben mit Musik drauf, die CDs ähneln, aber keine sind“, sagte Philips-Sprecher Klaus Petri der Financial Times Deutschland. Wer seine Silberscheibe mit dem CD-Logo versehen will, muss sich nach den Lizenzbedingungen an den im Red-Book festgelegten Standard halten. Die Kopierschutzprogrammierer scheinen davon noch nie etwas gehört zu haben. Zu ihrem Standardrepertoire gehört das Verfälschen des Inhaltsverzeichnisses, der „TOC“. Reine Audio-CD-Player können nur den ersten Abschnitt einer CD sehen. Die TOC-Einträge der kopiergeschützten CDs verweisen auf einen zweiten Abschnitt, der aber nur aus Datenmüll besteht. Anders als der Audio-CD-Player können CD-Laufwerke im Computer darauf zugreifen – und hängen sich daran auf.

Beliebt sind auch falsche Längenangaben oder die Deklaration von Musiktracks als Daten. Wirksamen Schutz bieten diese Tricks jedoch nicht. Programme wie „Clone CD“ lassen sich von den Fehlern in der TOC nicht beeindrucken oder beheben sie gar auf der Kopie. Wer manchen teuer erworbenen Titel auch mit dem neuen Player in seinem Auto abspielen will, sollte unbedingt eine bereinigte Kopie anfertigen …

Falsche Töne

Doch das ahnt auch die Musikindustrie. Weil falsche TOC-Einträge nicht reichen, zerstören bestimmte Kopierschutzverfahren jetzt mutwillig die Datenstrukturen und nehmen dabei sogar Qualitätsverluste und die baldige Unbrauchbarkeit der angeblichen CD in Kauf. Manche Systeme wie „Safeaudio“ oder „Cactus Data Shield 200“ bauen Datenfehler ein, die beim Abspielen üblicherweise gerade noch korrigiert werden können. Mehrere Tests von Fachzeitschriften ergaben teilweise deutliche Qualitätseinbußen bei solcherart geschützten CDs.

Es klingt nicht nur schlechter, die fabrikneu beschädigte Ware wird auch schon unbrauchbar, wenn später auch nur der allerkleinste Kratzer hinzukommt. Die Summe der Fehler wird dann die üblichen Korrekturalgorithmen überfordern.

Die Anbieter sollten nicht darauf hoffen, dass der zerstörte Titel noch einmal im Laden gekauft wird. Schließlich droht dem Ersatz dasselbe Schicksal. Sehr viel näher liegt das Ausweichen auf ebenjene Musiktauschbörsen im Internet, die so rüde bekämpft werden. Auch nach der faktischen Abschaltung von Napster und Audiogalaxy gibt es fast jeden gewünschten Titel online – ohne Kopierschutz, dafür allerdings immer öfter in im wahrsten Sinne des Wortes „rauschender“ Qualität, wie böse Zungen behaupten: als Abschreckung eingestellt von der Musikindustrie selbst. Doch beim verzweifelten Versuch, einen Titel von einer kopiergeschützten CD – legal – auf eine selbst gebrannte Mix-CD zu verfrachten, dürfte schon so mancher Musikfreund den MP3-Download schätzen gelernt haben.

Kundenstreik

„Das massenhafte unkontrollierte Kopieren von CDs hat sich zu einer echten Bedrohung für die Musikwirtschaft entwickelt und im letzten Jahr zu drastischen Umsatzverlusten geführt“, sagt Gerd Gebhardt, Vorsitzender der deutschen Phonoverbände. Insgesamt sank der Umsatz um 10,2 Prozent von 2,490 Milliarden Euro auf 2,235 Milliarden Euro, verkauft wurden 2001 nur noch 244,1 Millionen Tonträger nach 266,4 Millionen Stück im Jahr davor. 740 Millionen Euro will die Branche durch Onlinetauschbörsen im letzten Jahr verloren haben.

Doch schmerzlicher noch ist der Verlust durch das legale private Kopieren von CD auf CD: Zweieinhalb Milliarden Euro sei die Musik wert gewesen, wenn sie gekauft worden wäre, so die Branche – mehr als der wirklich erzielte Umsatz.

„Copy kills music“, beten auch manche Künstler nach. Echte Raubkopierer lassen sich von den Schutzsystemen aber nicht abschrecken und kopieren sie einfach gleich mit. Wirklich dumm dran sind nur Privatanwender, die legale Kopien fürs Auto oder für die Freundin machen wollen. Ihnen soll es noch schlechter gehen. Bis Ende des Jahres muss nämlich eine EG-Richtlinie zur Angleichung des Urheberrechts umgesetzt sein. Während die Vereinheitlichung insgesamt nicht so erfolgreich verlaufen dürfte, weil die Bestimmungen zu schwammig sind, hängt eine konkret formulierte Bestimmung wie ein Damoklesschwert über allen, die nicht nur Originale in ganz bestimmten CD-Playern abspielen wollen: Die Umgehung von Kopiersperren, die Verbreitung von Informationen darüber und gar bereits die Vorbereitung sollen künftig unter Strafe stehen. Damit wäre eine private Kopie zwar theoretisch noch legal – aber praktisch doch nicht mehr straflos möglich.

Nicht nur mehrere private Initiativen im Internet wie www.gegen-den-kopierschutz.de oder das breite Bündnis „für Privatkopie“, das Unterschriften sammelt für eine förmliche Petition an den Kanzler und das Justizministerium, wehren sich dagegen. Auch die tatsächlichen Autoren der geschützten Werke sind aufgewacht: Unter www.privatkopieren.de werben die Verwertungsgesellschaften Gema, VG Wort und VG Bild-Kunst für ein „Ja zur privaten Kopie“. Denn während die bisherigen Abgaben auf Geräte und Medien wie Kassetten und CD-Rohlinge den Künstlern zugute kommen, würden von der neuen Rechtslage praktisch nur die Konzerne profitieren. Wenn eine CD nicht mehr kopiert werden darf oder kann, fiele damit auch die Gebühr für das Kopieren weg – die Urheber würden weniger bekommen.

Falls sich die Kopierschutzgegner nicht durchsetzen können, bleibt ein anderer Weg übrig, den Philips-Sprecher Petri den Musikkäufern ans Herz legt: In Großbritannien habe die Einführung von kopiergeschützten CDs zu einem Proteststurm geführt. Der Handel weigere sich mittlerweile, solche CDs zu verkaufen. Philips musste gar nicht wegen der Verletzung der CD-Patente klagen. „Wir hoffen, dass die deutschen Konsumenten genauso mündig sind.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen