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Metro, boulot, dodo

Die Chiffren der Gegenwart: Mit ihrem Jahresprojekt „Campus 2002“ sucht die „Kokerei Zollverein“ in Essen nach neuen Wegen der Wissensvermittlung – mit Kunst, Kritik und HipHop-Konzerten

Zwei Tiger streifen durch ein Gehege, dass die Künstlerin Ayse Erkmen aufgebaut hat

von JULIA GROSSE

Was ist ein Museum heute? Ein Endlager für Bilder, ein Ort, an dem Reibung mit der Kunst zwar erwünscht, nicht aber konkret provoziert wird? Wie stark reagieren Kulturinstitutionen auf Hypes und organisieren plötzlich Vorträge zu Themen wie Globalisierung, Fashion oder Gender Studies? Und sind diese Vorträge zur Zeit nur deshalb so überlaufen, weil diese Schlagworte gerade Teil von Popkultur sind? Die Popkultur als Allheilmittel, das sich wie ein Schutzfilm längst auch über den Kulturbetrieb gelegt hat. Oder kommt es dabei auch wirklich zu einer langfristigen Vertiefung bestimmter, auch unbequemer Themen? Es kommen vor allem immer mehr leere Schlagworte. Und mit ihnen die Besucher.

Die „Kokerei Zollverein. Zeitgenössische Kunst und Kritik“ in Essen beschäftigt sich mit der eigenen Rolle als kulturelle Institution und der Frage, was sie heute leisten kann. Konkret erwarten den Besucher stets wechselnde Präsentationsformen auf dem ehemaligen Kokereigelände. Das Thema des vergangenen Jahres beschäftigte sich mit dem Wandel von der Arbeits-, zur Freizeitgesellschaft im Ruhrgebiet. Das aktuelle Jahresprojekt „Campus 2002“ stellt nun die Situation der Bildungspolitik in den Mittelpunkt der Betrachtung. Und dabei geht es Marius Babias, dem „Leiter Kommunikation“, und Florian Waldvogel, dem künstlerischen Leiter, eben nicht um eine gefällige Aufbereitung eines brisanten Themas, sondern um den konkreten Versuch, neue Wege und Modelle der Vermittlung von Wissen, Ausbildung und politischer Mündigkeit zu entwickeln.

Vor Ort findet das in Form von Vorträgen, Workshops, Diskussionen und auch künstlerischen Projekten statt. Sehr gelungen scheint dabei der Ansatz, das Ganze stets als Jahresprojekt vorzustellen und begleitend zu den behandelten Themen Publikationen herauszubringen. So kommt es zu einer andauernden Beschäftigung mit bestimmten Kernthemen. So erscheint beispielsweise im Anschluss an „Campus 2002“ ein Handbuch Rassismus, entstanden aus einer Podiumsdiskussion „Rechtsradikalismus“ aus dem vergangenen Jahr. Der Begriff „Campus“ wird wörtlich genommen und will Interessierte besonders auch aus der unmittelbaren Nachbarschaft ein umfangreiches Bildungsangebot vermitteln.

Auf dem Gelände der ehemaligen Kokerei, die 1993 stillgelegt wurde, finden zurzeit verschiedene Projekte statt, so unter anderem eine umfangreiche HipHop-Werkstatt für Jugendliche. Dann ist da noch der Bereich der bildenden Kunst, vertreten etwa mit einer Arbeit der türkischen Künstlerin Ayse Erkmen, sowie verschiedene Vorträge, Seminare und Workshops, unter anderem zum Thema „Autoritäre Charaktere – Faschistische Täter“, geleitet von „rote ruhr uni“, einem Arbeitskreis der Ruhr-Universität Bochum.

Die Kokerei als historischer Ort spielt dabei vor allem in Ayse Erkmens Arbeit eine Rolle. Die Künstlerin ließ auf 700 qm in der ehemaligen Mischanlage ein Tigergehege aufbauen. Wo der Besucher sonst einen Einblick in die Architektur der Mischanlage bekam, liegen nun bis Anfang September das Tigerpaar Ketty und Assam. Die Tiere gehören einem Privatmann aus Lübeck und seien, so die Aussteller, artgerecht untergebracht. Doch was unterscheidet dieser geräumige Käfig mit zwei Außenbereichen von einem Zoo? Die meditative Ruhe des Ortes? Die Kombination von Tiger und Industrieanlage? Die Besucher sollen vor den Gittern ihre Ausgeschlossenheit aus der Welt der Natur erfahren. Ob Besucher diese Arbeit ausgerechnet als „prägnantes Bild für das gesamte Campus-Projekt“ verstehen sollen, bleibt allerdings zu bezweifeln.

Viel klarer ist da schon das HipHop-Projekt „Home&Away02.Flow.Werkstatt.Politik“. Ein langer Titel für ein gelungenes Programm, das vor allem auf eine Jugendkultur jenseits von MTV, Eminem und Nike schauen will. Was ist die politische Motivation von Rap? Was sagen Graffiti aus? Gibt es für Frauen jenseits ihrer Rolle als Sexobjekte noch andere Rollen im HipHop? Zu Themen, wie „Pop und Krieg – Zur Inszenierung von Männlichkeit und Härte“ oder „Fear of Kanak Planet. HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap“ stehen in Essen kluge Köpfe auf der Vortragsliste, so Harald Fricke, Martin Büsser und Murat Güngör. Diverse Workshops leiten Künstler aus der HipHop-Szene, so Cora E., Spax oder die Ruhrpott AG. Unterstützt wird die Werkstatt von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), die seit vergangenem Jahr die, zugegeben, schwierigen Bereiche Popkultur, Jugendkultur und Musik zu erschließen versucht. Ziel sei die Förderung einer jugendkulturellen Auseinandersetzung mit politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Es geht also um die Schärfung des jugendlichen Blicks.

Die Teilnehmer der Workshops und Besucher der begleitenden HipHop-Konzerte sind vor allem Jugendliche, die mit den Hintergründen dieser Kultur mehr oder weniger vertraut sind. Doch würden sie sich dennoch hinsetzen und die umfassende HipHop-Literatur und Artikel lesen, die bei „Campus 2002“ in Bibliotheken zur Verfügung gestellt wurden? „Viele kamen vor allem wegen der Konzerte“, stellt Florian Waldvogel fest. Und ist ein Buch über Eminem für Jugendliche nicht interessanter als die Autobiografie der afroamerikanischen politischen Aktivistin Angela Davis? Das Angebot zur kritischen Auseinandersetzung jedenfalls ist da, nun muss sich die Jugend nur noch dafür interessieren. Einen Vortrag über die politische Motivation von Graffiti hielten die Writer-Legenden Mode 2 und Blek le Rat. Die einen Tag später beim Workshop entstandenen Graffiti der Teilnehmer sind noch bis Ende des Projekts zu sehen. Blek Le Rat hatte sich bereits Ende der 60er-Jahre in der Szene einen Namen gemacht, nachdem er Pariser Häuserwände und Brücken mit zornigen Tags förmlich überzogen hatte: „Metro, boulot, dodo“ (Metro, Arbeit, Heia), „À bas l’État!“ (Nieder mit dem Staat!).

Wer sich also darauf einlässt, wird in Essen sehr viel erfahren. Und auch der Frage, wieweit nun der Kunstbetrieb bei Aufklärung und Wissensvermittlung eine Rolle zu spielen hat, kann die „Kokerei Zollverein. Zeitgenössische Kunst und Kritik“ wohl auch in Zukunft nachgehen. Schließlich wird der Erfolg der Jahresprojekte hier nicht ausschließlich an den Besucherzahlen gemessen. Kommen sich bei „Campus 2002“ kulturelle Institution und das Modell der Wissensbildung nun wirklich näher?, will man dennoch fragen. „Wir können nur die Modelle der Vermittlung von Wissen zur Verfügung stellen“, sagt Marius Babias. „Nach wie vor agieren wir immer aus dem Aspekt der Kunst heraus. Wir sind keine Politiker.“

„Campus 2002“, bis 29. September, www.kokereizollverein.de

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