: Briefträger werden Terror-Informanten
US-Justizminister Ashcroft will tausende Bürger als Spitzel anstellen, um Terroranschläge künftig zu verhindern
WASHINGTON taz ■ Die Idee hätte Stasichef Erich Mielke sicher begeistert: Millionen Spitzel im patriotischen Dienst für das Vaterland. Dies ist jedoch kein Vorhaben aus der Mottenkiste der Stasi, sondern Programm von US-Justizminister John Ashcroft. Dieser plant eine nationale Mobilmachung, bei der eine atemberaubende Zahl an Informanten rekrutiert werden soll.
Die Operation Tips, das so genannte Terror-Informations- und Präventionssystem, soll im August mit einer Pilotphase starten. Der Plan sieht vor, eine Million Menschen anzuheuern, die ehrenamtliche Spitzel werden. Im Visier von Ashcroft sind vor allem Berufsgruppen, die eine flächendeckende Überwachung ermöglichen wie Briefträger und Gas- und Wasserinstalleure. Wenn zum Beispiel ein Klempner während seiner Arbeit verdächtige Vorkommnisse mit „möglichem terroristischen Hintergrund“ beobachtet, kann er dann bei einer landesweit geschalteten Hotline anrufen und seine beunruhigenden Erkenntnisse weitergeben.
Angesichts der bevorstehenden ersten Rekrutierungssphase schlagen nun Bürgerrechtsgruppen Alarm. Niemand könne garantieren, dass diese Informanten ihre Pflicht nicht zu genau nehmen und Wohnungen ohne Erlaubnis durchsuchen würden. Zudem werde eine Flut profaner und harmloser Daten weitergeleitet, die alle aufgenommen und überprüft werden müssten.
Schon jetzt sind die Sicherheitsbehörden überfordert und haben im Vorfeld des 11. September versagt. Wenn FBI und CIA bereits massive Probleme haben, substanzielle Informationen ihrer Profi-Agenten über arabische Flugschüler auszuwerten, wie sollen sie plötzlich tausenden von Hinweisen der Gaszählerableser nachforschen, fragen besorgte Demokraten im Kongress. Patrick Leahy, Vorsitzender des Rechtsausschusses im Senat, findet das Projekt „erschreckend“. Es mache aus Amerika eine Nation von Paranoiden.
Um mehr über bislang unter Verschluss gehaltene Details von Tips zu erfahren, wurde Ashcroft am Donnerstag von Leahy in den Kongress zitiert. Viel Neues war nicht zu erfahren. Der Justizminister verteidigte das Programm und wies die Vorwürfe über eine Spitzelgesellschaft zurück. Die Menschen sollten lediglich wachsam sein, schließlich sei das ganze Land Ziel terroristischer Aktivitäten. Es werde jedoch keine eigene Datenbank geben, wie ursprünglich vorgesehen war.
Auch bei Republikanern stoßen Ashcrofts Pläne auf Widerstand. Traditionell Gegner eines starken Staates, fürchten manche einen orwellschen Überwachungsapparat. Mehrere Senatoren haben angekündigt, dass gesamte Projekt kippen zu wollen. Doch der Kongress geht nächste Woche in die Sommerpause. So wird Klempner 007 wohl im August seinen Dienst antreten.
MICHAEL STRECK
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