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Kritische Verantwortung

Die Hebel für nachhaltiges Wirtschaften sind vor allem die Verantwortung des Managements und das Engagement der Aktionäre. Auch institutionelle Anleger sollten wesentlich mehr Einfluss nehmen

Eine der kniffligsten Fragen in kapitalistischen Wirtschaftsordnungen ist die Unternehmenskontrolle. Das Thema Corporate Governance ist also keineswegs neu. Mit der zunehmenden Trennung zwischen Eigentum (Besitz des Unternehmens) und Kontrolle (Führung des Unternehmens) gehen Probleme im Interessenausgleich zwischen Geldgebern und Managern einher.

Die jüngsten Beispiele – gipfelnd in Enron und Worldcom – haben gezeigt, wie Manager ihre Macht missbraucht und damit das Unternehmen, die Aktionäre und auch die Öffentlichkeit geschädigt haben. Im Allgemeinen konzentriert sich die aktuelle Diskussion über Corporate Governance nur auf die zweckmäßigen Leitungs- und Kontrollstrukturen zwischen Aktionären und Managern im Interesse einer langfristige Steigerung des Unternehmenswertes. Dazu wurden in den letzten Jahren eine Reihe internationaler Verhaltenskodizes entwickelt. Corporate Governance und Engagement der Aktionäre im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung reicht jedoch weiter: Berücksichtigt werden auch Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden, die Öffentlichkeit und die Umwelt.

Das Ziel einer solchen umfassenden „Good Corporate Governance“ ist die langfristige Wertsteigerung der Unternehmung für ihre Aktionäre und allen anderen Gruppen, die vom Verhalten der Unternehmen betroffen sind: den „gesellschaftlichen Aktionären“. Investoren, die eine nachhaltige Verantwortung in den Finanzierungsprozess einbringen, erkennen und anerkennen auch die Rolle anderer Gruppen als Wertschöpfer. Dies kann zwar nicht das Fehlen globaler demokratischer Rahmenbedingungen ersetzen, aber als gesellschaftliches Korrektiv globaler Finanzmärkte wichtige Signale für eine nachhaltige Entwicklung schaffen.

Grundsätzlich bestehen dafür zwei Handlungsansätze. Der erste beschränkt sich auf die Analyse und die Beurteilung der bestehenden Strukturen. Eine wachsende Zahl von Investoren – angeführt von institutionellen Anlegern in den USA, Großbritannien und der Schweiz – analysiert im Rahmen ihres Anlageprozesses die Wirkung eines geplanten Investments sehr sorgfältig: Ist mit den Aktivitäten eines Unternehmens eine Verletzung von Menschenrechten verknüpft? Wird gegen Regeln der Arbeitssicherheit verstoßen? Werden ökologisch unvertretbare Risiken erzeugt? Sind die Handelsbeziehungen fair?

Der zweite Ansatz ist die aktive Ausübung der Rolle als Aktionär, was als „Shareholder Engagement“ bezeichnet wird. Aktionären steht hier eine Reihe von informellen und formellen Methoden zur Verfügung, um Einfluss geltend zu machen. Informelle Methoden beinhalten zum Beispiel die Abfrage bestimmter Informationen über soziale und ökologische Fragen, den aktiven Dialog mit dem Management zu kritischen Themen, die Mobilisierung einer kritischen Öffentlichkeit beispielsweise durch Pressearbeit oder die Abstimmung mit anderen Aktionären. Formelle Mechanismen beinhalten unter anderem das Recht, an der Hauptversammlung teilzunehmen, einen Antrag für die Tagesordnung zu initiieren, das Wort zu ergreifen und selbst Stellung zu beziehen oder entsprechend abzustimmen.

Dabei kommt es in der Regel gar nicht darauf an, dass sich eine Mehrheit der Aktionäre dem Begehren anschließt, um eine Auswirkung auf die von einem Unternehmen verfolgte Strategie zu haben. Bereits ein Ergebnis von 5 bis 10 Prozent der Stimmen signalisiert dem Management, den Dialog mit den Initiatoren des Antrags zu akzeptieren.

In Deutschland spielt Engagement noch keine große Rolle, obgleich die Kritischen Aktionäre seit Jahren bemüht sind, eine kritische Gegenöffentlichkeit herzustellen. In den USA hat sich das Thema Engagement bereits deutlicher durchgesetzt: Nachdem das Instrument in den 80er-Jahren zum Rückzug vieler US-Unternehmen aus dem damaligen Apartheid-Staat Südafrika beigetragen hat, reicht das Themenspektrum heute über Sozialstandards und Menschenrechte bis zur Einführung von Umweltpolitiken. Der Anteil der „Socially Responsible Investment Fonds“ (SRI), die sich des Engagementansatzes bedienen, liegt in den USA mittlerweile bei 42 Prozent. Ein europäisches Beispiel für erfolgreiches Engagement ist die Kampagne der Organisation „Friends of the Earth UK“, die mit Hilfe sympathisierender Aktionäre die britische Firma Balfour Beatty dazu brachte, von einem 200-Millionen-Pfund-Auftrag für den unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten kritisch einzuschätzenden Illisu-Staudamm in der Türkei abzusehen.

Diese Erfahrungen zeigen, dass das gezielte Engagieren in Unternehmen, die sich in kritischen Geschäftsfeldern bewegen, eine wirkungsvolle Ergänzung zu der Strategie klassischer Nachhaltigkeitsfonds darstellt, die ihr Geld aus eben diesen Unternehmen abziehen. Ein Beispiel hierfür ist die Schweizer Anlagestiftung Ethos, in der sich bereits 90 Schweizer Pensionskassen zusammengeschlossen haben, um durch zielgerichtetes Investment nachhaltige Ziele zu fördern. Axel Wilhelm, Geschäftsführer der hannoverschen Research Agentur scoris, erwartet, dass sich auch europäische institutionelle Investoren vermehrt zusammenschließen werden, um durch eine Bündelung ihrer Stimmrechte größeren Einfluss zu gewinnen. Das systematische Ausüben von Aktionärsrechten im Sinne nachhaltiger Ziele erfordert jedoch entsprechend klare und nachvollziehbare Stimmrechtsrichtlinien. Folgerichtig haben bereits einige Research Agenturen Richtlinien ausgearbeitet, die ein einheitliches „nachhaltiges“ Abstimmungsverhalten auch über Ländergrenzen hinaus ermöglichen.

In Deutschland wurde Shareholder Engagement – häufig auch mit dem Hinweis auf hiesige Mitbestimmungsregeln – als überflüssig abgetan. Aber SRI und Shareholder Engagement bieten die Chance, über das Eintreten für Arbeitnehmerinteressen hinaus als Korrektiv für alle Anspruchsgruppen mitzuwirken. Es geht schließlich um die Verantwortung von Anlegern für eine soziale und umweltgerechte Globalisierung, der sich auch deutsche Investoren stellen sollten. VOLKER PETERS

Der Autor ist Mitarbeiter der scoris GmbH in Hannover, www.scoris.de

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