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Wie man Einzeller angelt

Ökonomien des Dazwischen (4): Joe Davis’ außerirdische Herausforderung trifft bei seinen Kollegen am MIT nicht nur auf Zustimmung. Doch der Künstler, der oft irritiert, ist ein notwendiger Störenfried

Davis’ Idee überrascht, ihre Anlage ist nachvollziehbar, nicht aber wozu sie dient

von NILS RÖLLER

Joe Davis ist ein Künstler, der Wissenschaftler verblüfft. Zum Beispiel, wenn er die Biologen am MIT (Massachusetts Institute of Technology) fragt, ob sie schon einmal einen Einzeller geangelt haben. Die Verblüffung führt meistens dazu, dass die Köpfe der Spezialisten heißlaufen und Monate oder Jahre später eine neue Erfindung in Joes Labor am MIT präsentiert werden kann. Derzeit denkt Joe über eine Art Kran nach, mit dem Walöl oder auch Sperma gefischt werden kann. Das, was wie ein Jux wirkt, besitzt eine unheimliche Dimension, mit der Joe bei Vorträgen vor Künstlergemeinden am Podewil oder auf der Ars Electronica Aufsehen erregt. Denn Joes zahlreiche Projekte fragen nach der Optik, mit der die westliche Kultur nach möglichen Welten jenseits der gewohnten Wahrnehmung Ausschau hält.

Joe ist viel unterwegs. Er hält Vorträge und macht Ausstellungen in Toronto, Lissabon und auch gern in Jena, der Stadt der Mikroskope. Er hat selbst ein Mikroskop entworfen, allerdings kein optisches, mit dem das Unsichtbare sichtbar gemacht wird, sondern ein akustisches, das die mechanischen Bewegungen in Zellen zu Gehör gibt. Er nennt sich selbst Künstler, auf seiner Visitenkarte ist zu lesen, dass er am MIT in Boston tätig ist. Doch das Programm der künstlerischen Moderne, das Unwahrnehmbare wahrnehmbar zu machen, ist nicht seine eigentliche Sache. Davis’ Programm ist ethisch motiviert. Er untersucht die Bedingungen, mit denen eine Kultur sieht, hört und urteilt. Dabei gerät er mit seinen Unternehmungen auch mal an die Grenzen des Erträglichen. Die „Ornithopter“, die er gerade entwickelt, provozieren Urteilsvermögen und guten Geschmack. Die „Vogelhüpfer“ sind nämlich mit Froschhäuten bespannte Flugapparate, die ihre Energie aus Lichtzellen gewinnen. Das Projekt verursacht Kopfschütteln, Ekel und Proteste, weil Davis dabei lebende Frösche verwendet. Er versteht die Arbeit als Hintergrundinformation, vor der die Forschung im Bereich der Waffentechnik diskutiert werden kann. In amerikanischen Labors werden mit Tieren – unter Wahrung der ethischen Richtlinien für Tierversuche, so der Künstler-Wissenschaftler, tödliche Waffen entwickelt, wobei es als selbstverständlich hingenommen wird, dass diese Waffen eingesetzt werden, um Menschen zu vernichten.

Auf der Ars Electronica 2000 stellte Davis ein Meisterstück der Darstellungstechnik vor. Er zeigte plausibel, wie ein Bild der Milchstraße (aufgenommen vom Cobe-Satelliten der Nasa) als genetischer Kode dargestellt werden kann, der dann Ratten und Mäusen implementiert werden kann. Theoretisch ist das denkbar, aber ist es sinnvoll, fragt Davis. Denn das kosmische Gefüge von Sternen, Mond und Sonne ist schon längst im Organismus der Erdbewohner repräsentiert, und zwar durch den Wechsel von Schlaf- und Wachzeiten, die als Produkt der Planetenbewegungen in der näheren kosmischen Umgebung aufgefasst werden können. Davis’ Idee überrascht, ihre Anlage ist nachvollziehbar, nicht aber wozu sie dienen soll. Doch diese absurde Zweckfreiheit vieler seiner Ideen ist gerade die Stärke der Künstler-Wissenschaftlers.

In seinem Kunststück genetischer Logik weist er auf eine prinzipielle Schwäche der gegenwärtigen Raumfahrtforschung hin, die zum Beispiel unbemannte Sonden in ferne Galaxien sendet und diese mit einem Exemplar von James Joyces’ Roman „Finnegans Wake“ ausstattet. „Finnegans Wake“ soll bei eventuellen Kontakten mit Außerirdischen als Gastgeschenk dienen, das einen Eindruck von der Komplexität menschlicher Kultur vermittelt. Die Hoffnung, dass außerirdische Lebewesen lesen können, ist dabei das Interessante. Ist es nicht wahrscheinlicher, dass sie sich für die Sprache der Basen interessieren, für Cytosin, Thymin, Adenin und Guanin? Die Frage betrifft jedoch die Voraussetzungen überhaupt von Kommunikation. Basensprache hin oder her, die Frage ist doch, wie man mit Wesen in Verbindungen treten kann, die grundsätzlich anders sind.

Diese Frage betrifft auch Joe Davis selbst. Im Laufe seiner Karriere hat sich immer wieder gezeigt, dass er der Andere ist. Unter Künstlern wird er ein Wissenschaftler genannt, Wissenschaftler hingegen halten ihn für einen Künstler oder Spinner. Einige Kollegen in den Laboratorien am MIT schätzen ihn zwar menschlich, halten es aber für eine Vergeudung von Ressourcen, dass er dort arbeitet, andere stellen fest, dass er ihnen ein neues Spektrum an Möglichkeiten eröffnet oder schlicht, dass sie freier arbeiten, wenn er in der Nähe ist. Die Auffassungen divergieren, und auch die Arbeiten lassen sich nicht auf einen Nenner bringen. Aber darin liegt die Stärke der Grenzgänger und der Systeme, an deren Grenze sie sich bewegen, nämlich offen zu bleiben für Veränderungen. Das könnte für den unwahrscheinlichen Fall, dass Boten der Menschheit tatsächlich auf Außeridische treffen, ein unschätzbarer Vorteil sein. Ebenso für den häufiger eintretenden Fall, dass auf dem Globus Außergewöhnliches geschieht. Nach dem elften September hat das Pentagon die Strategien der Waffenentwicklung geändert und sich für unkonventionelle Entwicklungsvorhaben geöffnet. Es bleibt zu hoffen, dass nicht nur die Streitkräfte ihre Strategien flexibilisieren, sondern dass auch die Forschungskultur ihre Türen für unkonventionelle Ideenentwicklung weiter öffnet. Die Nische, die Joe am MIT besetzt, ist gefährdet und vom Wohlwollen weitsichtiger Kollegen abhängig. Denn strukturell verankert ist Joes schlagzeilenträchtige Tätigkeit am reichen MIT nicht. Für ihn ist keine regelmäßige Vergütung vorgesehen. Seine Vorhaben passen nicht in die Logik von Forschungsanträgen, führen sie doch die Begrenzheit der ordentlichen Verfahren vor Augen.

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