: Ein abgekartetes Spiel?
Das Boulevardblatt präsentiert jeden Tag neue Namen in der „Flugmeilen-Affäre“. Die jüngsten Opfer – Jürgen Trittin, Ludger Volmer (beide Grüne) und Günter Nooke (CDU) – weisen die Vorwürfe zurück. Jetzt wächst der Unmut über die „Bild“-Zeitung
von SUSANNE AMANNund JENS KÖNIG
Die Bild-Zeitung kostet ihre Rolle bei der Aufdeckung der „Flugmeilen-Affäre“ in diesen Tagen genüsslich aus. Erwartungsgemäß veröffentlichte das Boulevardblatt auch gestern wieder die Namen von zwei Politikern, die ihre dienstlich erworbenen Flugmeilen für private Zwecke genutzt haben sollen.
Unter dem Titel „Jetzt auch zwei grüne Minister“ warf sie Bundesumweltminister Jürgen Trittin und Staatsminister Ludger Volmer vor, in 3 bzw. 20 Fällen private Flüge für Familienangehörige mit Dienstmeilen bezahlt zu haben. Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Günter Nooke ist in den Verdacht geraten, umsonst privat geflogen sein. Sein Name wurde allerdings vom Fernsehsender SFB genannt.
So gut die Quelle bei Lufthansa sein muss, die Bild für ihre Recherchen zu benutzen scheint, im Falle Trittin könnten sich die Vorwürfe als falsch erweisen. Der Umweltminister sagte gestern auf einer eigens dazu anberaumten Pressekonferenz in Berlin, dass er niemals dienstlich erworbene Bonus-Flugmeilen für private Zwecke genutzt habe. „Ich zahle meine privaten Flüge aus meinem Privatvermögen.“
Trittin war braun gebrannt und nach seinem Urlaub sehr entspannt, als er den Journalisten Einblicke in seine Flugpraxis gewährte. In seiner Amtszeit als Minister habe er insgesamt 5 Privatflüge mit Bonusmeilen bezahlt, die er jedoch allesamt privat erworben hatte, erzählte Trittin. Er besitze seit Anfang der 90er-Jahre ein Meilenkonto bei der Lufthansa.
Und dann war da noch die Sache mit dem Koffer. Bild hatte behauptet, der Umweltminister habe sich Anfang Juli, also kurz vor seinem Urlaub, einen Aluminiumkoffer bei der Lufthansa gekauft und diesen mit dienstlich erworbenen Bonusmeilen bezahlt. „Der Koffer ist eine Anschaffung des Ministerbüros“, reagierte Trittin. Er werde als Aktenkoffer ausschließlich für dienstliche Zwecke genutzt und befinde sich nicht in seinem persönlichen Besitz, sondern in dem des Umweltministeriums.
Trittin sagte, er habe es für einen klugen und Geld sparenden Vorschlag gehalten, diesen Koffer mit dienstlich erworbenen Bonusmeilen zu bezahlen. Irritationen in der „Kofferfrage“ hatte es ein paar Stunden zuvor gegeben. Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye hatte in der Regierungspressekonferenz erklärt, es sei nicht üblich, Aktenkoffer auf Staatskosten anzuschaffen. Der Umweltminister konterte auf der Pressekonferenz: In seinem Ministerium sei das üblich.
Nicht nur Trittin, sondern auch Volmer und Nooke wiesen gestern die gegen sie erhobenen Vorwürfe zurück. Bild hatte dem grünen Staatsminister 19 Freiflüge seiner Exfrau und einen Freiflug seines Sohnes vorgehalten. Volmer macht gerade Urlaub. Das Auswärtige Amt verwies auf dienstliche Verpflichtungen von dessen Ehefrau. Sie sei in der fraglichen Zeit Schirmherrin des Frauen- und Familiendienstes des Auswärtigen Amtes gewesen, so eine Sprecherin. Von Seiten des Außenministeriums bestehe ein dienstliches Interesse an der Wahrnehmung von Terminen in dieser Funktion.
Nooke, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fühlt sich ebenfalls ungerecht behandelt. Er habe überhaupt nur ein einziges Mal die Bonusmeilen zur Zahlung eines Fluges benutzt, sagte er am Mittwoch. Er habe einen Termin als Abgeordneter wahrgenommen. „Dieser Flug war nicht nur dienstlich, aber deshalb noch lange nicht privat“, so Nooke.
In den Parteien wächst unterdessen das Unbehagen über die Veröffentlichungsmethoden der Bild-Zeitung. SPD-Generalsekretär Müntefering warf dem Boulevardblatt offen vor, Wahlkampf für Stoiber zu betreiben. Bild habe nach eigener Aussage die Namen mehrerer betroffener Abgeordneter, verschone aber auffallend CDU, CSU und FDP. Das sei ein „abgekartetes Spiel“.
Müntefering forderte die Fluggesellschaft auf, ihre Erkenntnisse über die missbräuchliche Nutzung von Bonusmeilen durch Abgeordnete „sofort und komplett“ zu veröffentlichen. „Der Bundestag muss dann Konsequenzen ziehen.“ Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der PDS, sprach sogar von einem „Denunziationsklima“. Trittin verurteilte ebenfalls die „Bild“-Methoden. Dabei würden Datenschutzrechte verletzt, aber auch schützwürdige Persönlichkeitsrechte umgangen, zum Beispiel die seiner Lebensgefährtin, die in dem Boulevardblatt nicht nur verdächtigt, sondern auch auf einem Foto abgebildet wird. Das bedürfe einer juristischen Überprüfung, so Trittin.
Die Lufthansa wies Münteferings Forderung nach einer Veröffentlichung gestern umgehend zurück. Die Namen von Abgeordneten bekannt zu machen, die dienstliche Bonusmeilen privat nutzten, sei nicht vorstellbar. „Diese Daten sind datenrechtlich geschützt“, sagte ein Sprecher in Frankfurt. Zudem sei es für das Unternehmen unmöglich festzustellen, ob ein Flug dienstlich oder privat gewesen sei und ob Bonusmeilen missbräuchlich eingesetzt worden seien.
Innerhalb der Fraktionen wird auch weiterhin nicht nach eigenen Abgeordneten gesucht, die Bonusmeilen privat genutzt haben. „Das würde nur zu unnötiger Aufregung und Verdächtigungen führen“, sagte Wilhelm Schmidt, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD. Die PDS untersucht da schon etwas genauer. Er gehe zwar auch davon aus, dass es in seiner Partei keine weiteren Fälle von großer Dimensionen gebe, so Roland Claus, Chef der PDS-Bundestagsfraktion. Aber in seiner Fraktion werde im Moment noch „der eine oder andere problematische Vorgang“ besprochen.
Insgesamt sollen, so die Gerüchteküche in Berlin, rund 100 Abgeordnete aller Parteien ihre dienstlich erworbenen Meilen auch für private Zwecke genutzt haben. Dass sich der große Rest allerdings an die freiwillige Selbstverpflichtung der Bundestagsverwaltung gehalten hat, zeigen die Zahlen, die diese am Dienstag veröffentlicht hatte: Bei einem gesamten Reiseetat von 9,4 Millionen Euro wurden im vergangenen Jahr rund 375.000 Euro durch die Nutzung von Bonusmeilen eingespart.
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