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Munition frei Haus

Die Anschläge zu seiner Inauguration liefern Präsident Uribe Argumente für seinen harten Kurs gegen linke Rebellen

In vier Jahren will Alvaro Uribe seinen Landsleuten „in die Augen sehen können“

aus Bogotá GERHARD DILGER

Mittwochnachmittag, kurz nach drei Uhr: Mit einem gepanzerten Kleinbus, der von 12 Bodyguards eingerahmt wird, fährt Álvaro Uribe die wenigen Meter vom Außenministerium zum Kongressgebäude an Bogotás malerischer Plaza de Bolívar. Das weitläufige Karrée, wo sonst Kolumbiens Präsidenten unter freiem Himmel ihren Amtseid schwören, ist von Polizisten und Soldaten gesäumt. Über der Innenstadt ziehen moderne Blackhawk-Hubschrauber knatternd ihre Kreise, ab und zu schießt ein Mirage-Kampfflugzeug über die Acht-Millionen-Metropole.

Über die kolumbianische Hauptstadt hat sich eine bleierne Stimmung gelegt. 20.000 Sicherheitskräfte patroullieren bereits tagelang durch die Straßen, an strategisch wichtigen Punkten sind Panzer postiert, das Zentrum ist weitläufig abgeriegelt. Auf den Hochhäusern im nahe gelegenen Geschäftszentrum kann man Scharfschützen ausmachen. Bombenanschläge an verschiedenen Stellen der Stadt und Gerüchte über angebliche Anschlagspläne der Farc-Guerilla haben das weit verbreitete Gefühl der Unsicherheit noch geschürt. So sollen die Rebellen ihre eigene Version des 11. September geplant haben. Mit einem Kleinflugzeug habe sich ein Guerilla-Kamikaze auf den Präsidentenpalast stürzen wollen, so die fantastischste Variante aus der Gerüchteküche der Polizei.

Kaum ist Uribe im Kongress verschwunden, erschüttern drei Detonationen die Stadt. Ein Sicherheitsbeamter des Präsidenten beruhigt die Politiker, es handle sich um Böllerschüsse im Rahmen des militärischen Protokolls. An den Fernsehern verfolgt die ahnungslose Nation den Einzug des 50-Jährigen in den Plenarsaal, seine Vereidigung und die Rede des Senatspräsidenten Luis Alfredo Ramos.

Äußerlich unbewegt lauschen die Parlamentarier, Expräsidenten und Staatsgäste, darunter Präsident Hugo Chávez aus Venezuela und Spaniens Thronfolger Felipe, 20 Minuten lang der nüchtern vorgetragenen Antrittsrede Uribes. Nach einer Reverenz an die Staatsgründer Simón Bolívar und Francisco de Paula Santander, die die „Ordnung als Prinzip der Einheit und der sozialen Gerechtigkeit“ begriffen und die Gesetze über die militärische Gewalt gestellt hätten, zählt Uribe noch einmal viele jener Punkte auf, deren Umsetzung er seit seinem Wahlsieg am 26. Mai eifrig vorbereitet hat: einen konsequenten Sparkurs, seine Freihandelsagenda, den Kampf gegen die Korruption, die Ausweitung sozialstaatlicher Elemente inklusive „Bildungsrevolution“ bis hin zu den Fragen von Krieg und Frieden.

Besonders populär ist sein Plan, die KolumbianerInnen über die Reduzierung des Zweikammerparlaments abstimmen zu lassen, das als Hort der Korruption und der Vetternwirtschaft gilt. Obwohl Uribe nominell über die Hälfte der 278 Abgeordneten hinter sich weiß, gilt dieses Projekt als seine innenpolitische Nagelprobe. Auch die Gewalt zur Verteidigung der Regierung sei Terrorismus, sagt er im Hinblick auf die rechtsextremen Paramilitärs, die offen mit ihm sympathisieren.

Er gibt er sich gesprächsbereit: „Die Demokratie ist unser Angebot, damit die Gewehre durch die Politik ersetzt werden.“ Mit Hilfe der UNO wolle er einen „nützlichen Dialog“ über einen Waffenstillstand und „humanitäre Lösungen“ wie die Freilassung von Entführten suchen. Der Konflikt erfordere „unkonventionelle, transparente, fantasievolle Lösungen“.

Uribe legt sich nicht auf Einzelheiten fest, sondern zeigt sich bescheiden: er strebe eine „ehrliche, effiziente, nüchterne Regierung“ an, ohne Wundermittel und mit der „Arbeit als Richtschnur“. In vier Jahren wolle er seinen Landleuten „in die Augen sehen können“. In seiner bewusst staatsmännisch gehaltenen Rede verschweigt er allerdings einen wesentlichen Aspekt, der ihm seinen Ruf als autoritärer Rechtsaußen eingetragen hat: die Beschneidung der Bürgerrechte im „Antiterrorkampf“. Demnach plant der Präsident eine Verfassungsänderung, nach der 36-stündige Festnahmen ohne richterlichen Befehl und das Abhören von Verdächtigen legalisiert werden sollen. Auch ohne Ausnahmezustand wären der Willkür der Sicherheitskräfte Tür und Tor geöffnet. Zugleich sollen die seit 1991 gestärkten Aktionsmöglichkeiten der staatlichen Kontrollorgane weiter beschnitten werden.

Unmittelbar nach seiner Rede wird der Präsident von Armeechef Fernando Tapias informiert, dass die Detonationen von einer Attacke auf den Präsidentenpalast stammten. Im Lauf der nächsten Stunden wird die ganze Reichweite des Angriffs bekannt: Acht selbst gebaute Mörsergranaten im Umfeld des Regierungszentrums haben mindestens 17 Todesopfer und 64 Verletzte gefordert. Ingesamt wurden 24 Geschosse per Fernsteuerung aus einem Haus rund zwei Kilometer südlich des Regierungsviertels abgefeuert. Eine Granate schlug in einem Haus 800 Meter vom Präsidentenpalast entfernt ein. Dabei starben elf Männer. Wenige Straßenzüge weiter kamen eine Frau und drei kleine Mädchen ums Leben. Weitere Granaten trafen den Präsidentenpalast, wobei vier Sicherheitsbeamte verletzt wurden. Polizeisprecher, die Medien und nahezu alle Politiker machen städtische Milizen der Farc-Guerilla für die Anschläge verantwortlich. So auch Bogotás Bürgermeister Antanas Mockus. Beweise hat er keine, er beruft sich auf Geheimdienstinformationen, nach denen die Farc in „einem ihrer internen Gespräche“ wohl plante, um drei Uhr „etwas“ zu machen. Die Anschläge trügen die Handschrift der IRA, behauptet Armeegeneral Reynaldo Castellanos. Zu den Anschlägen bekannte sich bis gestern niemand.

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