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Die Sympathiejäger

Ansager des Angesagten: Erst die Moderatoren geben den Musiksendern ihr Gesicht und markieren für ihr Teenie-Publikum die feinen Unterschiede

von KERSTIN GRETHER

Wer diesen Sommer scharf auf neuesten Tratsch aus der Popwelt war, hatte gute Chancen, ihn aus erster Hand zu erfahren: er musste einfach nur die „Petze“ Markus Kavka anrufen. Allerorts blickte einem das Konterfei des MTV-Moderators von Plakaten entgegen: „Willste petzen, call Markus“, lautete der Slogan, mit dem der Musiksender einen direkten Draht zum Zuschauer freischaltete und für seine Pop-News warb.

Merke: Nachrichten gibt’s eben nicht nur im „Erwachsenenfernsehen“ und auf n-tv, sondern auch siebenmal täglich auf MTV. Und in der Popwelt passiert natürlich mindestens so viel wie in der „echten“ – vorausgesetzt, man lässt sich mit einer gewissen Ernsthaftigkeit darauf ein. Während viele im Musikfernsehen vor allem eine endlose, gleichgeschaltete Reizüberflutung sehen, leben die Clipkanäle eigentlich davon, Unterscheidungen herzustellen. Und gerade die Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen verfügt über ein sehr genaues Sensorium für die vielen feinen Unterschiede der Popkultur, sei es in Hinblick auf die Moderatoren, Musikclips oder auf die Stars. Um es mit den Worten eines Markus-Kavka-Fans zu sagen: „Eins weiß ich zumindest: Er benutzt Wachs und kein Gel für seine Haare.“

Oft genug sind MTV und Viva, die beiden wichtigen Clipkanäle, aber auch selbst in den Schlagzeilen. Meist geht es darum, wer nun gerade Marktführer ist – den neuesten Daten nach lag MTV im letzten Jahr vorn –, oder um verbotene Clips und angebliche Geschmacklosigkeiten. Es scheint, als würde über Musikfernsehen vor allem dann berichtet, wenn „Grenzen überschritten“ (so der Spiegel über die Absetzung der trashigen US-„Freakshow“) werden. Das wundert nicht, denn Grenzüberschreitung ist auch Teil des Mediums selber: Schließlich zeichnet sich der Pop-Mainstream generell nicht nur durch seine viel gerügte Konformität, sondern auch durch die andere Seite der Medaille – gezielte Provokationen – aus. Die entstehen oft dadurch, dass die Sender bei den übermütigen Verbotsüberschreitungen der Popstars mitmachen. Und beispielsweise den verbotenen „Without me“-Clip von Eminem rund um die Uhr abspielen, obwohl sich der Skandalrapper darin als Bin Laden maskiert. Selbiges gilt auch für das neue George-Michael-Video „Shoot the dog“, in dem der englische Premierminister Blair als Schoßhund der USA karikiert wird. Es ist eben nicht alles nur Pop, was im Musikfernsehen glänzt.

Aber der Alltag der Clipkanäle erschöpft sich nicht in Skandalen, Skandälchen und Streit um die Marktführerschaft: Es geht auch um die coole Vermittlung der richtigen Details und Refrains, die Trends setzt, Stars macht und Lebensgefühle prägt. Und Werbekunden anlockt.

Eine wichtige Rolle spielen dabei die Moderatoren, denn sie personalisieren das angestrebte Profil. Das gilt nicht nur für Shows wie „Unter Ulmen“, die um die Persönlichkeit des Moderators kreisen: Untersuchungen der Münchner MTV-Zentrale belegen, dass gerade Hitparaden ohne sichtbaren menschlichen Presenter unpersönlich wirken und weniger interessant wären. Kein Wunder, dass die Moderatoren schon selber Popstars sind, Stilvorbilder. Sie bekommen Mails, in denen sie gefragt werden, wo sie ihre Klamotten kaufen, werden kritisch auf „Glaubwürdigkeit“ hin beäugt und sogar auf der Straße und im Nachtleben erkannt. Witzig sollen sie alle irgendwie sein, spontan und locker; einem bestimmten Typ entsprechen und dabei sie selbst bleiben. Sehr viele Zuschauer achten da auf die Besonderheiten des Einzelnen, wie die starke Resonanz beweist.

Aber auch die Musik prägt das Senderprofil. Die Aspekte, die über die Playlist bestimmen, sind komplex: Längst nicht alles, was in den Charts ist, wird gespielt; Pur oder Westernhagen etwa bleiben gern außen vor, weil sie nicht ins Jugendimage passen. MTV sucht, nach eigenen Angaben, die optimale Mischung zwischen dem, was die Leute hören wollen, und dem, was sie vielleicht auch noch als Herausforderung empfinden könnten, dem Progressiven. Trotzdem folgt die Auswahl natürlich dem Mehrheitsgeschmack.

Das ist oft eine Enttäuschung für Leute, die dann plötzlich Indie-Bands ihrer Wahl vermissen: Das System Musikfernsehen kann einem immer wieder vorführen, wie marginal der eigene Musikgeschmack ist. Andererseits: Wenn die Lieblingsmusik nicht im Fernsehen gespielt wird, erzeugt das natürlich auch ein Gefühl der Besonderheit, ruft zumindest starke Emotionen hervor. So bringen Clipkanäle die Zuschauer auch dazu, die Differenz selber zu setzen. Oder verweisen auf Spartensendungen im Spätprogramm, die für die Vertiefung von Genres zuständig sind.

Musikfernsehen lebt davon, dass sich die Zuschauer davon kicken und beeinflussen lassen. Die 14-bis 29-Jährigen verfügen ja nicht gerade über die größte Kaufkraft; sie brennen ihre CDs oft selbst und haben hohe Handyrechnungen. Sie sind es aber auch, die Pop mit der nötigen Begeisterung unterfüttern. Die sich interessieren und gleichzeitig unter dem Zwang stehen, „mithalten“ zu können. Oft genug geht es nur darum, auf dem Schulhof über die neusten Hits und Marken mitreden zu können. Dieses Sicheinlassen auf den ganzen Popzirkus macht sie für die Werbewirtschaft so attraktiv.

Darüber könnte man nun natürlich zu einem kritischen Diskurs ansetzen. Man kann sich aber auch einfach auf das nächste Eminem-Video freuen oder auf die morgige Ausgabe der MTV-„Popnews“. Auch um zu sehen, ob Markus Kavka noch seine Gelfrisur hat.

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