: Gefangen vom Kaffeeduft
Den Mutigen gehört die Zukunft: Die Figuren der Zeichnerin Yvonne Kuschel
Früher hatte sie eine Agentin. Die besorgte ihr jede Menge Aufträge. Doch Yvonne Kuschel trennte sich nach kurzer Zeit, weil sie befürchtete, mit den fremden Jobs ins Nebensächliche abzugleiten. „Die Agentin war gut“, sagt sie. „So gut, dass ständig neue Aufträge kamen, von denen ich mich ablenken ließ.“ Sie wolle dar nicht so viel Geld verdienen, wenn sie das vom „Eigentlichen“ abhalte, sagt Yvonne Kuschel, und streicht über den Kopf ihres vierjährigen Sohns Anton, der quengelt, weil er lieber zu Hause spielen will als in der Galerie.
Das „Eigentliche“ ist das freie Zeichnen, das Yvonne Kuschel an der Fachhochschule für Gestaltung in Bielefeld und später an der Kunsthochschule für Gestaltung in Hamburg studierte. Die 44jährige fertigt seither Cartoon-Zeichnungen und Illustrationen und stellt darin ein von skurrilen Figuren bevölkertes Pandämonium vor, in dem bebrillte Mädchen in Faltenröcken aufkreuzen, sprechende Rosen, Männer in Hauspuschen und altkluge Katzen.
Kuschels präzise krakelige Figuren erleben ganz schön spannende Dinge, die manchmal auch existenzielle Bedeutung haben: Ein Mann sitzt zum Beispiel am Tisch, neben ihm Pinsel und Farbe, vor ihm Hühnereier in Bechern, mit aufgemalten Gesichtern. Darunter steht „Wie man Freunde gewinnt“.
Oder die Brillenmädchen: Sie stehen wie bestellt und nicht abgeholt auf der roten Erde, die wie eine Scheibe aussieht, und hinter ihnen leuchtet das Weltenende – was man an der diagonal von der Bildmitte zum rechten Bildrand verlaufenden Linie erkennt – als bunt gepunktetes Nichts. Betreten schauen die Teenager zum Betrachter. Sie könnten hinausgehen und das Nichts erkunden, doch rechts im Bild liest man: „Im Zimmer hockte der verführerische Duft von Kaffee und Kuchen“. Da bleibt man lieber daheim.
Solcherart gescheiterte Ausbruchsversuche haben sich in Yvonne Kuschels Arbeiten und in ihre Biografie eingegraben. „Man will eigentlich weg, aber dann ist da immer jemand oder etwas, das einen zurückhält“, sagt sie lachend. „So ist es bei mir mit Berlin. Ich versuche schon seit zwei Jahren, hier wegzukommen, und schaffe es irgendwie nicht.“ Im Abstand von sieben, acht Jahren ändere sich immer etwas in ihrem Leben, meint sie, und es sei mal wieder an der Zeit: Vor sieben Jahren zog sie von Hamburg nach Berlin. Kuschel tauschte das geordnete Leben mit Wohnlage am Elbstrand gegen den Berliner Abrissschick am Rosenthaler Platz, mit Ofenheizung und Außenklo. „Das Kopfsteinpflaster und die Straßenbahnschienen haben mich an meine Kindheit in Polen erinnert, da hab ich mich gleich wohl gefühlt.“
Yvonne Kuschel wurde in Danzig geboren, ihre Mutter ist Polin, ihr Vater Deutscher. Als sie vierzehn war, übersiedelte die Familie nach Westdeutschland. Sie ging in Paderborn zur Schule, einer „katholischen, spießigen“ Stadt, in der unter der wohl geordneten Oberfläche der Fremdenhass blühe. In Bielefeld fühlte sie sich freier und in Nürnberg, als Stadtzeichnerin, hatte sie ein Jahr lang sogar Ruhe vor der Welt. „Da ging ich jeden Tag auf den historischen Friedhof, und habe ein- und dieselbe Grabskulptur abgezeichnet. Dabei habe ich sehr intensive Eindrücke von diesem Objekt bekommen und immer wieder neue Details und Ausdrucksformen entdeckt.“
Yvonne Kuschel hält, wie viele ihrer Kolleginnen, den Spagat zwischen dem „Eigentlichen“ und der Auftragsarbeit: Sie präsentiert ihre Arbeit in zahlreichen Ausstellungen, veröffentlicht ihre Bildgeschichten in kleinen Kunstbuchreihen wie den „Tollen Heften“ der Büchergilde Gutenberg, illustriert für Frauenmagazine und lehrt an Kunsthochschulen. Sie sagt, sie illustriere gern, nur eben nicht zu viel, weil es nie ohne Kompromisse gehe. Da will man manchmal ihre Figuren schlanker und niedlicher, und darauf kann sie sich nicht zu stark einlassen. In ihrer aktuellen Ausstellung ist jedes Bild mit einem Sinnspruch versehen, der sich mehr oder weniger logisch zum Bild verhält.
„Manchmal höre ich in der S-Bahn halbe Sätze, auf der Straße oder im Radio“, sagt sie, „und die schreibe ich mir auf, und dann schau ich, ob ich ein passendes Bild dazu habe. Manchmal graust es mich, wenn es nicht passt.“
Wie erstaunlich die Lesarten ausfallen, kann Kuschel nicht wissen. „Einmal kam eine Frau in die Ausstellung und sagte, so etwas Zynisches habe sie lange nicht gesehen.“ Ein bisschen Zynismus an der Kaffeetafel sei doch erlaubt. JANA SITTNICK
Ausstellung von Yvonne Kuschel in der Buchhandlung Herschel, Anklamer Straße 38, Mitte. Bis 7.9.
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