: Grenzen mitten in der Stadt
Aktionen gegen Ausländerpolitik und für freien öffentlichen Raum: TeilnehmerInnen des Camps gegen Rechts „Land in Sicht“ machten am Wochenende Jungfernstieg, Hauptbahnhof oder Landungsbrücken zum Parcours für Spiele ohne Grenzen
von HELENE BUBROWSKI und ELKE SPANNER
Manche Grenzen werden erst sichtbar, wenn sie überschritten werden. Dass man beispielsweise in der Wandelhalle des Hauptbahnhofes nur Flanieren und Einkaufen darf, wird offensichtlich, wenn dort plötzlich jemand Federball spielt. Dass sich nicht jeder Mensch frei in der Stadt bewegen darf, dann, wenn plötzlich x-beliebige BesucherInnen der Landungsbrücken beim Betreten Personalausweis, Impfpass oder Kreditkarte vorzeigen müssen. Den öffentlichen Raum zurückzuerobern, ist eines der Ziele der TeilnehmerInnen des Camps „Land in Sicht“, das noch bis Mittwoch in der Hansestadt ist. Das Wochenende gestaltete sich als buntes Spiel ohne Grenzen in der Innenstadt.
Sklaven von heute
Das Thema am Samstag war die Ausländerpolitik, Grenzen für Menschen ohne deutschen Pass. Eine Gruppe von KünstlerInnen verkaufte bei einem Theaterstück am Anleger des Alsterdampfers am Jungfernstieg „Sklaven“ der heutigen Zeit, eine Computerinderin oder einen Migranten, der versprach, für wenig Geld auf deutschen Baustellen zu arbeiten.
Während zwei Sklaven doch ausgewiesen wurden, weil sie für die deutsche Wirtschaft nicht zu verwerten waren, fuhren im Hintergrund Schlauchboote und Kanus mit untermalenden Transparenten vorbei: „Mehr Schleuser“, forderten diese, und „Refugees welcome (Flüchtlinge willkommen)“.
Sicherer Standort
Mit einer Demonstration über die Mönckebergstrasse nach St. Georg wurde zu der Frage übergeleitet, wem der öffentliche Raum in der Stadt gehört. Pöbelnde AutofahrerInnen, die sich durch die Demo belästigt fühlten, wurden mit der plakativen Aufforderung „Hupen!“ zum Stillschweigen gebracht. In St. Georg verklebten die Camp-TeilnehmerInnen Plakate mit der Aufschrift „So ist‘s in Ordung“. Während PolizistInnen die Drogenszene im Stadtteil beobachteten, gerieten sie selber ins Blickfeld der Aufmerksamkeit, mussten sich beobachten und befragen lassen, wenn sie den Pass von PassantInnen kontrollierten.
Am Hauptbahnhof wurden mit den Schrifttafeln „ZIVIS!“ drei Polizisten ohne Uniform entlarvt. Der Kriminologe Erdmann Prömmel kritisierte auf der Kundgebung über „die Würde des Hauptbahnhofes“ die Vertreibung und Ausgrenzung von sozialen Randgruppen durch die Bahn AG. Wegen des sogenannten „3–S–Programmes (Sicherheit, Sauberkeit, Service)“ würden nun auch Tätigkeiten wie das Verkaufen von Straßenmagazinen mit Hausverbot und Strafanzeigen geahndet.
Nach der Kundgebung wurde etwas für den Standort Hamburg getan. Die Wandelhalle verwandelte sich in ein Trainingslager für Olympia 2012. Die Campteilnehmer packten Federball- und Strandtennisschläger aus, zogen in einer Polonäse durch die Halle und übten sich im Bockspringen. Auch Fußball mit Bierdosen war eine sehr beliebte Disziplin. Ungestört von den hektisch durcheilenden Reisenden saßen einige TeilnehmerInnen in der Wandelhalle im Kreis auf dem Boden, um sich mit Kaffee und Kuchen für die Olympiade zu stärken.
Grenze am Hafen
Am Sonntag dann stellte sich heraus: Die neuen Polizeiuniformen sind wirklich blau. Jedenfalls die der Kontrolleure an der kurzzeitig von den CampteilnehmerInnen aufgestellten „Schengener–Innen–Sonder–Grenze“ an den Landungsbrücken. Auf der Promenade und dem Barkassenanleger kontrollierten drei Einheiten die Papiere der PassantInnen.
Die meisten Spaziergänger ertrugen die Kontrolle, die laut Flugblatt ihrer „eigenen Sicherheit sowie der Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ diene, mit Fassung – oder sogar mit einem Lächeln. Sie gehorchten zum Teil ohne große Widerrede und packten ihre Dokumente aus. „Das ist ja ‘ne ganz wichtige Sache“, so der Kommentar eines Passanten, der allerdings nicht erkannt hatte, dass er soeben zum Teilnehmer von „Land in Sicht“ geworden war.
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