: Anreize zur Bewegung
Längst proben sie wieder für die Zeit nach der Hitze: Hamburger Kindertheater wollen zu Körperarbeit und Akzeptanz von Unterschieden animieren sowie an Brennpunkten intervenieren
von OLIVER TÖRNER
Die Sonne ballert, und man kann sich kaum vorstellen, dass sich jemals wieder Kinder ins Theater locken lassen. Und doch wird schon längst wieder geprobt. Im September startet die Saison.
Im Dachkämmerchen im sechsten Stock eines Hinterhauses im unwirtlichen Hammerbrook bastelt die BuehneBumm an der soeben eingetroffenen Kulisse für Gibt es eigentlich Brummer, die nach Möhren schmecken? Bühnenbildnerin Melanie Hövelmann hat sie aus Berlin im Paket geschickt, nebst Skizze. Langsam nimmt das Puzzle Gestalt an, die Begeisterung wächst. Möhrentapete, senkrechtes Bett, Kühlschrank im Baum: die Details lassen für die Inszenierung einiges erwarten.
Judith Mauch und Katrin Sagener, die mit Vom Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat recht erfolgreich waren, stießen zufällig auf Matthias Sodtkes Kinderbuch über die ungleichen Freunde, den Hasen Nulli und den Frosch Priesemut. „Es sprach uns an, weil die beiden sehr menschliche Züge haben. Und weil uns die Umsetzung der comichaften Bilder reizte.“ Dazu gehört besonders die Figurenentwicklung.
Da beide Akteurinnen aus dem Tanz stammen, geht die vor allem über genaue Bewegungsstudien und Körperarbeit. „Wir wollen innere Vorgänge körperlich sichtbar machen.“ Als Frosch und Hase wohlgemerkt. Und – besonders wichtig und differenziert durchdacht – als Anreiz für Kinder, selbst in Bewegung zu kommen.
Regisseur Ralf Bettinger, Neuling im Kindertheater, interessiert speziell die Entwicklung zwischen den beiden. „Eigentlich dicke Freunde, die aber an ihrer Beziehung zweifeln, als sie feststellen, dass sie nicht dieselbe Nahrung vertragen.“ In den Szenen wollen sich dabei alle viel Ruhe gönnen. Das Stück ist für Kinder ab drei Jahren: „Die brauchen ihre Zeit, um das Geschehen aufzunehmen.“ Und sie sollen Raum kriegen, sich unmittelbar am Spiel zu beteiligen.
Ortswechsel: ein ruhiger Hinterhof in Eimsbüttel. Aus den Fenstern eines niedrigen Gebäudes schweben Violinenklänge. Das Theater Mär probt Klingt meine Linde von Astrid Lindgren für Menschen ab sechs Jahren. Carolin Spieß tritt hinter einem kornblumenblauen Vorhang hervor, entlockt ihrem Instrument erneut die lebhafte, eingängige Melodie, setzt sich hinter einen Tisch und beginnt vorzulesen. Momente später sprechen die Personen des Märchens aus ihr.
Bei Regisseur Peter Markhoff löste Astrid Lindgrens Tod den Wunsch aus, etwas von ihr auf die Bühne zu bringen. Ursprünglich dachte er an eine Collage. Bis er über ihr weniger bekanntes Märchen stolperte. Darin erkennt er sie direkt und umfassend wieder, in biographischen Details und in übertragenem Sinn. Da ist es die Waise Malin aus dem Armenhaus, die von Sehnsucht nach „Schönem“ beseelt, sich schließlich in einen singenden Baum verwandelt und den Menschen – in dieser Gestalt – Trost spendet und sie glücklich macht. So wie Astrid Lindgren auch nach ihrem Tod sehr wohl in ihren Geschichten weiterlebt.
Carolin Spieß sieht im Verschwinden Malins allerdings eher ein Opfer für die anderen Waisenhäusler. „Immerhin ist ihr normales Erdenleben beendet. Und sie ist ein Kind.“ Auch will sie sich mit dem poetischen Bild, dass „Glauben und Sehnen“, wie Peter Markhoff es sieht, eben durchaus zu einer (Ver-) Wandlung führen können, nicht zufrieden geben. Sie zeigt sich irritiert von der Diskrepanz zu sozialen Tatsachen.
„Kann das Kindern in Brennpunkten real helfen?“ Zugleich gesteht sie ihre Bewunderung für die Autorin mit Blick auf deren frühe emanzipatorische Haltung und ihre in den zahlreichen Geschichten festgehaltenen Ideen: „Eine tolle Frau!“
Gibt es eigentlich Brummer, die nach Möhren schmecken? (BuehneBumm): 7. + 9.9., 15.30 Uhr, Monsun Theater, Tel.: 390 31 48; Klingt meine Linde (Theater Mär): 4. + 5.9., 15 bzw. 10 Uhr, Literaturhaus, Tel.: 22 70 20 11
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