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Auf Krücken und aus dem Handgelenk

Als ein Kälte- und ein Wärmestrom fließen die beiden Sänger Skelly Spence und Wiss Bulgin zur „Israel Vibration“ zusammen. Am Ende: ein hypnotischer, dabei ironisch aufgelockerter Reggae-Abend im süß duftenden Schlachthof

Der Reiz von „Israel Vibration“ liegt im Kontrast zwischen den beiden Sängern Sogar die Hitze passte so zur Musik, dass sie nicht mehr drückend wirkte wie am Tage

Reggae ist wie der Blues die Musik von ehemaligen Sklaven, und wenn er zu schön, glatt und mainstream-kompatibel gespielt wird, verliert er seine Essenz. Die beiden Sänger Skelly Spence und Wiss Bulgin bringen schon rein optisch zum Ausdruck, dass ihre Musik aus Leid und Armut geboren ist. Denn beide kommen auf Krücken auf die Bühne und tanzen kantig mit gelähmten Gliedern.

In den 50er Jahren wütete in Jamaica, wie in vielen anderen Kolonialländern auch, eine Polio-Epidemie. Drei an der Kinderlähmung erkrankte Jungen trafen sich in einem Heim in Kingston, machten nach ihrer Entlassung zuerst Strassenmusik und hatten 1976 mit ihrem Song „Why worry“ (der wie eine Vorlage für Bobby McFerrins „Don’t worry, be happy“ klingt) einen grossen Erfolg. Als „Israel Vibration“ wurde das Vocaltrio von Bob Marley gefördert, vor einigen Jahren trennte sich Apple Craig von den Kollegen, die seitdem als Duo weitermachen.

Ob ein Reggae-Konzert „the real thing“ oder nur ein modischer Abklatsch ist, kann man auch sofort am Publikum erkennen: Am Dienstagabend waren im Schlachthof die Hardcore-Rastafari der Region versammelt. Viele bliesen auf Thrillerpfeifen und Tröten immer wieder ein paar Kontrapunkte in den Groove der Band, und natürlich roch es auch in einigen Ecken süß nach illegalen Substanzen.

Der Reiz von „Israel Vibration“ liegt im Kontrast zwischen den beiden Sängern. Es ist ein wenig so, als hätten sie die Qualitäten von Bob Marley zwischen sich aufgeteilt. Skelly Spence ist der Shouter, der mitreißend feurige Heißsporn, der „gimme that love, I neee-eeed that love“ so fordernd und aggressiv wie einen Schlachtruf erklingen lässt, danach dann die politischen Kampflieder wie „No more racial discrimination“ mit der passenden Mischung aus Wut und Charisma singt: Die Unterdrücker werden bei ihm sehr schön als „Ali Baba and your band of thieves“ angesprochen.

Wiss Bulgin wirkt dagegen einigermaßen schüchtern: Das Gesicht halb unter einer groben Mütze versteckt, singt er viel grüblerischer, melodischer, trauriger. Zuerst scheint er ständig von seinem Partner an den Rand gedrängt zu werden, aber bald merkt man, wie gut die beiden sich ergänzen, wie sie als Kälte- und Wärmestrom zusammenfließen und nur zusammen diese ganz eigene, fast hypnotische Stimmung schaffen.

Wunderbar aufeinander eingespielt war auch die „Roots Radics Band“. All die Dub-Effekte, die ursprünglich ja erst im Studio erzeugt wurden, also die Echos, die Wah-Wah-Gitarren, das Schlagzeug mit einem anderen Soundeffekt bei jeder einzelnen Trommel, spielten sie wie locker aus dem Handgelenk geschüttelt live, der Groove war fett (hier passt das Modewort ausnahmsweise mal wirklich) und dem Lead-Gitarristen gelang es sogar, immer wieder mit kurzen rockigen oder jazzigen Einschüben die grundsätzlich gewollte Monotonie des Reggae ironisch zu brechen.

Alles kam bei diesem Auftritt perfekt zusammen, sogar die Hitze in der gut gefüllten Kesselhalle passte so zur Musik, dass sie nicht mehr so drückend wirkte, wie vorher am Tage.

Wilfried Hippen

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