: Sie hält sich warm an ihrem Exhibitionismus
Model und Artdirector, Schauobjekt und Kamerafrau: Niemand hat diese Doppelrolle so perfekt ausgefüllt wie Leni Riefenstahl. Seit Beginn ihrer Karriere weiß sie zu kontrollieren, welche Bilder von ihr zirkulieren. Zum 100. Geburtstag einer Selbstdarstellerin, der die Beschränkung Obsession ist
von CLAUDIA LENSSEN
Leni Riefenstahls Lebensmuster war 1920 fertig. Ich und der Tanz, Ich und der Bergfilm, Ich und die Filmregie. Und immer wieder: Ich und die mächtigen Männer. In dieser Reihenfolge schlossen ihre wahren Interessensgebiete ab der Jugendzeit aneinander an, bis ihre verschiedenen Karrieren 1934 mit dem Nazi-Propagandafilm „Triumph des Willens“ einen nicht zu revidierenden Höhepunkt erreichten.
Das Bilderangebot, mit dem sie noch heute aktiv um ihre kommerzielle Vermarktung wie um ihre künstlerische Verewigung bemüht ist, macht eines deutlich: Die Riefenstahl vereinigt in den Fotoinszenierungen, die sie von sich verbreitet, eine Geschichte widersprüchlicher Frauenbilder. In ihrer persönlichen Bildergalerie sind Spuren enthalten, die auf den Wechsel der Frauenbilder insgesamt verweisen, der aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht wegzureden ist. Sie fasziniert auch heute, weil sie eine Emanzipationsgeschichte repräsentiert – eine unangenehme, extravagante, rücksichtslose.
Keine Selbstdarstellerin des Medienzeitalters hat derart perfekt die schizophrene Doppelrolle des Models vor der Linse und des kontrollierenden Artdirectors dahinter in sich vereinigt. Die Riefenstahl verkörpert nicht nur den Paradigmenwechsel vom klassischen weiblichen Schauobjekt für den voyeuristischen Blick hin zur technisch versierten Kamerafrau. In ihren eigenen Spielfilmen „Das blaue Licht“ und „Tiefland“ bestand sie selbstredend sogar auf der Doppelfunktion von Hauptdarstellerin und Regisseurin.
Als 1998 im Filmmuseum Potsdam zum ersten Mal in Deutschland ein Querschnitt durch ihr Werk gezeigt wurde, basierte die Schau auf Fotografien, die die Riefenstahl persönlich für Ausstellungen freigegeben hat. Deutlich war an der Auswahl zu erkennen, wie sie sich der Nachwelt überliefert sehen möchte. Da gibt es den expressiven Moment in der tänzerischen Pose, es gibt die divenhaften Porträts der stark geschminkten Riefenstahl als Diotima in „Der heilige Berg“ und später die Kletterbilder der Bergsteigerin. Als Skifahrerin im Badeanzug in „Der weiße Rausch“ zeigt sich die Riefenstahl, als leidende Abenteurerin unterm Eisregen in „Die weiße Hölle am Piz Palü“, mit glühendem Blick als verfolgte Unschuld in „Das blaue Licht“ und als Pilotin in weißer Felljacke in „S. O. S. Eisberg“.
Das Riefenstahl-Revival, das heute zu konstatieren ist, wurde durch Bildbände eingeleitet, die sie selbst herausgegeben oder zumindest kontrolliert hat. Von den Dreharbeiten zu den Olympiafilmen 1936 existieren zahllose Arbeitsfotos, Selbstinszenierungen einer eleganten Hosenträgerin, unbestreitbar modischer und machtvoller Mittelpunkt im Männerteam. In einer Fotomappe der Galerie Camera Works ist der Besitzerstatus der Riefenstahl am eigenen Bild perfekt dokumentiert: Arbeitsfotos vom Olympiagelände 1936, auf denen sie zu sehen ist, sind mit ihrer Signatur als Sammlerobjekte ausgezeichnet. Der Kameramann Walter Frentz fotografierte die Riefenstahl vermutlich bei der Arbeit, sie als das Model lizenzierte jedoch die Verwertung.
Auch von den Dreharbeiten zu „Triumph des Willens“ gibt es prägnante Bilder. Die Regisseurin im weißen, militärisch geschnittenen Mantel unter SA-Uniformträgern beim exemplarischen Blick durchs phallische Teleobjektiv. Der propagandistische Coup des frisch an die Macht gekommenen Naziregimes bestand gerade darin, die Riefenstahl als dienstbare Künstlerin zu präsentieren, während man sich noch lebhaft an ihre schicksalsschwangere Opferrolle in „Das blaue Licht“ erinnern konnte.
Das Spiel mit der Beherrschung des eigenen Exhibitionismus ist noch heute eine Flamme, an der sie sich warm hält. Keine Schauspielerin konfrontiert sich so gern mit den eigenen Jugendbildnissen, dass sie circa hundert Meter gerahmter Fotografien zum Leasing für zahlungskräftige Interessierte bereitstellt. Leni Riefenstahl tut es. Sie nahm auf ihre Weise voraus, was heute Vertragsgegenstand vieler Prominenter ist, wenn es an die Verwertung von Fotorechten geht. Bei der Produktion der Parteitagsfilme baute sie übrigens auch eine Fotoagentur auf, die Bilder der einschlägigen Prominenz lukrativ verwertete. Den Unmut der Parteigruppen, die das Geschäft lieber selbst gemacht hätten, verbuchte die Riefenstahl als unverständlichen Liebesentzug.
Mit ihrer extremen sportlichen Leistungsbereitschaft unter den unwirtlichen Drehbedingungen der Bergfilme drang sie gleich zu Anfang ihrer Filmkarriere in eine Männerdomäne ein. Gefährliche Herausforderungen, aber auch unbändigen Spaß beim Skifahren und Klettern (bis dahin noch exotische Unternehmungen für die meisten Mitteleuropäer) demonstrierte sie in den Filmen ihres Mentors Arnold Franck – stets als die exemplarisch einzige Frau in einer Männerrunde.
Eine Schauspielerin, das stand schon damals fest, war die Riefenstahl nicht, viel eher eine Darstellerin, ein neuer Typ. Sie lieferte konkrete Wunschbilder, in denen sich das neue Lebensgefühl der späten Zwanzigerjahre niederschlug: Frauen, die sich ihr Geld selbst verdienten, träumten vom Skiurlaub, um an der frischen Luft den Teint zurückzugewinnen, den sie im Büro verloren hatten. Fettcreme, verkündete Leni Riefenstahl in der Werbeanzeige einer Kosmetikfirma, sei das geeignete Mittel gegen unliebsame Strapazen für die Haut.
Natur war für die Berlinerin nicht mehr und nicht weniger als ein gigantischer Trainingsraum. Ins Schwärmen gerät sie bis heute, wenn sie sich an Südtiroler Originalschauplätzen daran erinnert, mit welchem technischen Aufwand bestimmte opulente Kinobilder dort von ihrer Crew produziert wurden. Vermutlich ging sie mit derselben obsessiven Beschränkung an das Gebirge aus Körpern, Fahnen und die Führerfigur heran, das sie in „Triumph des Willens“ zu inszenieren wusste.
Die Riefenstahl war bereits ein Kind des neuen Kinozeitalters, dem die eigenen Erfahrungen, die Märchen ihrer Jugend und das Kino von Murnau bis Franck zu einer virtuellen Welt zusammenschossen. Damit konnte die Realität nicht mithalten.
Schon vor der Karriere als von den Nationalsozialisten hochsubventionierte Filmproduzentin schärfte sie ihr besonderes Potenzial. Sie war aktiv daran beteiligt, technisch avancierte Bilder zu raffinierten Medieninszenierungen zu maximieren. Bei genauem Hinschauen entpuppten die sich sich jedoch als Botschaften aus dem Kitsch des 19. Jahrhunderts.
Als die Riefenstahl ihre kurze Solotanzkarriere feierte, nutzte sie spätromantische Klaviermusik für ihre Choreografien, versuchte sich am tänzerischen Ausdruck elementarer Seinszustände wie Leidenschaft oder Trauer, illustrierte Frühling oder Herbst. In den Bergfilmen ihrer Schauspielkarriere sah ihr Hausregisseur Arnold Franck sie als mythische Inkarnation des Weiblichen, das den frierenden Helden, einen emotional zerrissenen Schmerzensmann, bald als Femme fatale bedroht, bald als tapfere Kameradin rettet.
Wache Teilnahme an gesellschaftlichen Vorgängen war nie Leni Riefenstahls Sache. Sie folgte ihrer Obsession fürs Märchenhafte.
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