: „Bei Stoiber droht Rückschritt“
Der Regierende Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), fürchtet um das „geistige Klima“ in der Republik, sollte der Unionskandidat aus Bayern Kanzler werden. In einer Stoiber-Republik müssten die SPD-Ministerpräsidenten die „innere Liberalität“ verteidigen, meint Wowereit: „Und ich wohl besonders“
von ROBIN ALEXANDER und STEFAN ALBERTI
taz: Herr Wowereit, Sie sind der Bürgermeister der Slogans: „Und das ist auch gut so“ stand für Ihren selbstbewussten Wahlkampf. „Sparen, bis es quietscht“ für Ihre Politik der Kürzungen. Aber wofür, bitte, steht: „Wenn das mein Neffe sein soll, hat er wohl gerade eine Gesichtsoperation hinter sich“?
Klaus Wowereit: Das habe ich bei meinem Auftritt in der Fernsehserie „Berlin, Berlin“ gesagt.
Keine verborgene politische Botschaft?
Nein. Ich unterstütze diese Produktion, die in Berlin stattfindet und noch Werbung für Berlin macht. Der Text war vorgegeben.
Warum treten Sie in einer Vorabendserie auf?
Ich wollte den Medienstandort Berlin unterstützen. Und diese Serie hat – einigermaßen – Niveau. Es hat mir außerdem Spaß gemacht mitzuspielen.
Gucken Sie selbst so etwas?
Oh ja, ich schaue mir gerne Serien an. Eigentlich bin ich ein richtiger Serien-Typ. Leider fehlt mir als Regierender die Zeit. Aber die Serie, die ich am meisten liebe, kann ich immer noch gucken. Sie kommt nämlich sonntags: die „Lindenstraße“. Ich bin seit Jahren „Lindenstraßen“-Fan. Wissen Sie, mit der „Lindenstraße“ wächst man mit, man wird mit ihr älter.
Haben Sie einen Lieblingscharakter in der „Lindenstraße“?
Hm. Das ist schwierig. Da gibt es keinen Charakter, mit dem ich mich wirklich identifiziere. Das Tolle an der „Lindenstraße“ ist, dass sie keinen Lebensbereich auslässt. Neulich etwa mussten sich die Bewohner damit auseinander setzen, dass ein Herausgeber von neonazistischen Schriften das Haus kauft. Ob das Thema Aids oder ob das Thema schwul oder Fremdenfeindlichkeit oder Flutkatastrophe: Die „Lindenstraße“ scheut nichts.
Hat die „Lindenstraße“ unsere Gesellschaft verändert?
Ein wenig schon: Es hat Wirkung, wenn Themen aufgenommen werden, die sonst – auf diese Weise – nicht den Weg in die Öffentlichkeit fänden. Die Macher der „Lindenstraße“ haben sich unzweifelhaft Verdienste um unser Land erworben.
Zurzeit befindet sich dieses Land im Bundestagswahlkampf. Wie beurteilen Sie die Auseinandersetzung?
Neben den harten Fragen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik sollten wir auch etwas anderes ansprechen, was für diese Republik nicht minder wichtig ist: das geistige Klima. Hier gibt es ein klares Kontrastprogramm zwischen den Parteien, vor allem aber zwischen den Spitzenkandidaten, die zur Wahl stehen. Bei Stoiber droht in allen gesellschaftspolitischen Fragen Rückschritt. Angefangen über die Rolle der Frau über das Zuwanderungsgesetz und die Integration von Ausländern oder das Lebenspartnerschaftsgesetz: Alles soll zurückgeschraubt werden. Da liegt vielleicht die klarste Differenz zwischen den Alternativen, die zur Wahl stehen. Wir müssen verhindern, dass die Bundesrepublik zurück in die Vergangenheit marschiert!
Stoiber steht für ein traditionelles Familienbild. Seit Ihrem öffentlichen Coming-out stehen Sie für das moderne Selbstbewusstsein auch der Minderheiten. Würde Ihnen in einer Stoiber-Republik eine neue Funktion zuwachsen?
Das würde sich natürlich noch viel stärker herauskristallisieren. Wir SPD-Ministerpräsidenten müssten dann viel stärker um die innere Liberalität dieses Landes kämpfen. Und ich wohl besonders.
Sie sind schon jetzt eine Reizfigur für Deutschlands Konservative. Die haben Ihnen weder Ihr Coming-out noch Ihr Verhalten als Bundesratspräsident beim Zuwanderungsgesetz verziehen.
Ich bin bereit, für meine Positionen auch zu kämpfen.
Rot-Grün hat liberale Regelungen durchgesetzt, wirbt aber nicht offensiv mit Ihnen. Ein Fehler?
Es darf keinen Zweifel geben, wofür die SPD steht. Viele Reformvorhaben hat die rot-grüne Regierung umgesetzt. Es gibt trotzdem noch viel zu tun. Ich beobachte, dass heute auf vielen Veranstaltungen auch mit Reizthemen offensiv und sogar mit Begeisterung umgegangen wird.
Auch Ihr Senat geht mit seiner liberalen Innenpolitik eher schamhaft um. Macht man damit weniger Punkte als mit der Haushaltskonsolidierung?
Mit Haushaltskonsolidierung macht man überhaupt keine Punkte. Aber es gibt eben Dinge, die muss man tun: die Bewältigung der Haushaltsmisere ist alternativlos. Ich würde auch gerne Schönwetterpolitik machen. Es ist aber gerade kein schönes Wetter in Berlin. Im Alltag macht unsere Innenverwaltung eine offensive Integrationspolitik. Die ist besonders effizient, wenn sie unauffällig geschieht. Das ist ein Teil des Erfolgs, aber wir freuen uns über jeden, der uns lobt.
Ist es für die Sanierung der Berliner Finanzen egal, wer im Bund regiert?
Kein Finanzminister wird freiwillig Hilfe für die Stadt herausrücken, das ist klar. Andererseits haben wir schon Unterschiede zwischen Kohl und Schröder festgestellt. Unter Schröder war die Unterstützung für Berlin wesentlich größer. Denken Sie nur an die zusätzlichen Investitionen für die Museumsinsel. Oder an die Finanzierung des Olympiastadions. Bei Einzelprojekten hat uns der Bund erheblich geholfen. Die Grundsatzfrage aber ist: Wie kommt Berlin von seinem Schuldenberg runter? Das geht weit über Einzelprojekte hinaus, wir reden hier ja über ein Milliardenvolumen. Ich weiß nicht, ob es ohne eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht geht.
Warum haben Sie nicht längst geklagt?
Weil eine Klage nur dann eine Chance hat, wenn Berlin deutlich machen kann, dass die eigenen Anstrengungen an eine Grenze gekommen sind. Deshalb sage ich deutlich: Es gibt keinen Grund, sich zurückzulehnen und zu hoffen, der große Papa wird es schon richten. Das ist immer noch nicht in Berlin angekommen. Wir denken hier, es gehe uns schlecht. Aber wir geben pro Kopf mehr Geld aus als Bayern und Baden-Württemberg. Es führt kein Weg daran vorbei: Wir müssen unsere Ausgaben reduzieren.
Was meint Ihr Finanzsenator, wenn er sagt, das „Eigentliche“ komme erst nach der Bundestagswahl?
Thilo Sarrazin hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass der Doppelhaushalt 2002/2003 noch nicht die Grundsanierung der Landesfinanzen bedeutet. Wir brauchen aber auch ein Klima, in dem es möglich ist, große Reformprojekte umzusetzen. Und wir brauchen auch Zeit, um Umstrukturierungen im öffentlichen Sektor sinnvoll zu gestalten.
Sarrazin sagte auch, hätte er alle seine Vorschläge schon jetzt auf den Tisch gelegt, wäre er nicht mehr Finanzsenator.
Das Gute an Sarrazin ist doch, dass er darauf überhaupt keine Rücksicht nimmt. Er spricht die Dinge, die aus seiner Sicht zu lösen sind, an – offen und gelegentlich brutal. Das ist dann nicht immer durchsetzbar. Seine brutalen Vorschläge müssen politisch bewertet werden. Nicht alles, was in den Denkstuben der Finanzverwaltung ausgeheckt wird, ist so in der Wirklichkeit umsetzbar. Der Finanzsenator ist nur ein Teil der Landesregierung und bestimmt nur einen Teil der Politik. Die Gesamtverantwortung trage ich.
Sind Sie den aggressiven Stil ihres Finanzsenators leid?
Thilo Sarrazin ist so, wie er ist. Er pflegt eine drastische Sprache. Manchmal könnte er vielleicht etwas überlegter vorgehen. Aber: Im Kern gibt es keinen Dissenz zwischen ihm und mir.
Dieser Kern wäre?
Wir tun alles, damit Berlin nicht in die Schuldenfalle läuft. Das muss diese Stadt noch lernen: Die Erhöhung der Nettokreditaufnahme ist der größere Skandal als eine Kürzung von fünf Prozent bei irgendeinem kleineren Mittelempfänger. Die Wahrnehmung dieser Vorgänge muss sich verändern, auch in der veröffentlichten Meinung. Hilfreich ist der Blick über den Tellerrand: In München, Hamburg oder Düsseldorf gibt es Dinge schon lange nicht mehr, die wir noch öffentlich finanzieren. Berlin braucht endlich vernünftige Relationen!
Eine Besonderheit hat Berlin: Hier regiert die PDS mit. Aber wie: Die PDS-Senatoren lassen sich von Ihnen das Demonstrieren gegen Bush verbieten, begründen Ihre Sparpolitik treu vor den erbosten Ostbezirken und gucken auch sonst ziemlich verzweifelt. Halten Sie Ihren Juniorpartner in der Hand oder im Würgegriff?
Wenn man Regierungsverantwortung übernimmt, kann man eben nicht länger Fundamentalopposition betreiben. In der Verantwortung kann man nicht nur nette Sachen vertreten – schon gar nicht in Berlin. Aber da schlägt sich die PDS doch besser, als viele dachten. Sie schaffen es, harte Entscheidungen auch ihrer Klientel als alternativlos deutlich zu machen.
Das Klientel scheint sauer zu sein: Die PDS sinkt in den Umfragen.
Das ist nicht mein Problem.
Wovon die Konservativen träumten, schafft Wowereit: Er kriegt die PDS klein?
Das ist nicht das Ziel meiner Arbeit. Ich möchte eine erfolgreiche Koalition bis 2006 leiten.
Sie haben die Entscheidung für Rot-Rot auch mit der hohen „Verlässlichkeit“ der PDS begründet. Haben Sie sich getäuscht?
Nein.
Auf Gregor Gysi konnten Sie sich jedenfalls nicht verlassen.
Gysis Entscheidung zurückzutreten hatte nichts mit der rot-roten Koalition zu tun, einem Konflikt im Senat oder einem Problem Berliner Landespolitik. Ihn hatte etwas aus seiner früheren Tätigkeit im Bundestag eingeholt: die Bonusmeilen. Deswegen zurückzutreten war Gysis persönliche Entscheidung, das muss ich akzeptieren. Das alles war und ist kein Problem unserer Koalition.
Mit Gysi hatte sich zum ersten Mal seit langem ein Bundespolitiker auf die Berliner Bühne begeben. Und diese fluchtartig wieder verlassen. Warum ist die Landespolitik so schwer zugänglich für Menschen, die nicht in ihr sozialisiert wurden?
Nicht nur Gysi, auch Günter Rexrodt von der FDP hat sich in Berlin wählen lassen und ist dann ganz schnell abgehauen. Ich weiß gar nicht, wie ich das nennen soll, ohne einen Terminus aus dem Strafrecht zu gebrauchen …
… Betrug? …
… auf jeden Fall eine enorme Enttäuschung für die Wähler. Da ist aus einer Kandidatur für das Abgeordnetenhaus und den Senat eine reine Schaunummer gemacht worden. Wer für die Landesebene kandidierte, soll hier auch arbeiten und nicht sofort wieder auf die Bundesebene verschwinden.
Ihnen werden Ihre langen Jahre in der Kommunalpolitik oft als Nachteil ausgelegt.
Das kann ich überhaupt nicht verstehen: Der Vorwurf, jemand käme aus der Kommunalpolitik, ist doch absurd. Wer fängt denn sofort als Bundeskanzler oder Ministerpräsident an? Meine kommunalpolitische Erfahrung möchte ich auf keinen Fall missen. Damals konnte ich nicht die Rahmenbedingungen bestimmen, wie ich es heute kann. Aber ich hatte direkten Kontakt zu den Menschen. Es war lehrreich zu sehen, wie sich Politik in Praxis umsetzt. Ich möchte fast fordern, jeder sollte das zwangsweise einmal machen. Im Ernst: Ein Nachteil ist es auf keinen Fall. Genaue Kenntnis der Details sind mir jedenfalls eine wichtige Enscheidungshilfe.
Zurzeit wird über eine Ampelkoalition im Bund spekuliert. Sie haben in dieser Hinsicht einschlägige Erfahrungen. Was raten Sie Gerhard Schröder?
Die SPD kämpft dafür, ihre erfolgreiche Koalition mit dem grünen Partner fortzusetzen.
Das haben Sie vor den Berliner Ampelverhandlungen auch gesagt.
Und der Wähler hat damals anders entschieden.
Gesetzt den Fall, der Wähler entscheidet wieder gegen Rot-Grün. Ein Tipp für die Genossen im Bund?
Ich werde sicherlich meine Meinung sagen. Auf jeden Fall aber erst nach der Wahl, weil man dann das Ergebnis kennt.
Damals zog es die SPD in Berlin nach vier Wochen Ampelverhandlungen am Ende doch noch zur PDS. Im Bund kann das Gleiche selbstverständlich überhaupt nicht niemals unter keinen Umständen und auf gar keinen Fall passieren?
Ihre Ironie trifft nicht. Auf Bundesebene ist die PDS tatsächlich nicht koalitionsfähig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen