Massentrauung in Altona

St. Johannis-Kirche widmet sich mit Vorträgen, Ausstellungen und szenischem Erinnerungs-Abend von Michael Batz der von den Nazis initiierten Hochzeit von 122 Paaren am 28. Oktober 1933

von PETRA SCHELLEN

Es geht um die Struktur von Erinnerung. Um jene feinen Barrieren, die analog zum Unwillen auftauchen und Gespeichertes nicht freigeben. Und um die Schwerstarbeit, längst Verdrängtes einer neuen Überprüfung zu unterziehen – ein Vorgang, der sich weder kontinuierlich noch symmetrisch vollzieht. Gerade diese asymmetrischen Strukturen sind es, die Theatermacher Michael Batz bei der Vorbereitung seiner Erinnerungsveranstaltung interessieren, die am 2. und 3. Oktober in der Altonaer St. Johanniskirche stattfinden soll. Der Titel: Das Wort: JA. Das Glück der Frauen – Vom Glück des Krieges – Vom Unglück der Juden.

122 Paare wurden am 28.Oktober 1933 in der St. Johanniskirche getraut. Der Lohn: ein Herd sowie ein Ehestandsdarlehen von 1000 Reichsmark, einzulösen nach der Geburt des vierten Kindes. „Die Aktion war Teil des nationalsozialistischen Programms zur Linderung der Arbeitslosigkeit und so gesehen durchaus verlockend“, sagt Michael Batz. „Zugleich war die Aktion sinnfällige Offenbarung nationalsozialistischer Ideologie, derzufolge Frauen ja an den Herd gehörten.“ Ihre Männer – oft arbeitslose SA-Leute – nahmen im Gegenzug die Arbeitsplätze ein, die bis dahin die Frauen bekleidet hatten. Zugleich war der Aufmarsch der 122 Paare ein Riesenspektakel – für Batz Zeichen einer „bizarren Unterwerfungslust“.

Dabei verurteilt er, der das Erinnerungsprojekt gemeinsam mit Pastor Ulrich Hentschel vorbereitet, das Verhalten des Einzelnen keineswegs: „Im Zentrum des Textes wird die Selbstbefragung aus heutiger Sicht stehen: Wie hoch wäre mein Preis, wie weit würde ich gehen, wären die die Voraussetzungen anders als heute? Worauf gründet sich mein Urteil? Welche Wirkung hatte damals, hätte heute eine derart pompöse Inszenierung?“

Fragen, die sich auch Pastor Henschel stellt, dessen Propstei im Oktober unter dem Motto „Erinnerung, Rechenschaft und Reue“ Vorträge, Ausstellungen und Stadtrundgänge anbietet, die sich mit der Kirche im Nationalsozialismus beschäftigen. „In welcher Tradition steht die Johanniskirche, an der der nazitreue Propst Schütt amtierte? Wie können wir damit leben, dass die Kirche ihren Segen zu einer derart perfiden Aktion gab?“

Ein Erbe, mit dem sich genauso unbequem leben lässt wie mit dem am 11. Januar 1933 verlesenen Bekenntnis der Altonaer Pastoren, das lange als hinreichende Distanzierung von den Nazis betracht wurde, tatsächlich aber schwammig bleibt. Denn ähnlich wie in der Liturgie des Altonaer Notgottesdienstes vom 21. Juli 1932 – einer Reaktion auf von Nazis provozierten Schießereien des Altonaer Blutsonntags vier Tage zuvor – bleibt auch der „Bekenntnis“-Text vage: Zwar erwähnen die Pastoren das Blutbad. Nach der Verantwortung des Einzelnen fragt der Text aber genauso wenig wie die Notgottesdienst-Liturgie, die noch dazu gefährlich nazi-kompatibles Vokabular benutzt. Das Haupt sei „krank“ , heißt es da, „Fremde verzehren eure Äcker vor euren Augen“. Ziel des Gottesdienstes war daher wohl eher eine Art Ablass; es wurde allgemein um Vergebung gebeten: „Lass das Blut Christi uns mehr entschuldigen, als das Blut der Erschossenen unserer Stadt uns anklagt.“

Doch so leicht wie jene Pastoren will Batz es sich und seinen Zuhörern nicht machen; er will Konkretes wissen: „Welchen Einfluss hatte die Massenhochzeit auf das Schicksal des Einzelnen? Wie weit haben die Nachkommen von dem Ereignis gewusst; in welcher Form wurde es vermittelt? Und was ist letzten Endes aus den Hoffnungen und Sehnsüchten der 122 Paare geworden?“

Fragen, bei deren Beantwortung Batz auf die Mitwirkung der Altonaer hofft: Wer mag, kann sich – gern auch anonym – über das Kirchenbüro St. Johannis an Pastor Ulrich Hentschel (Tel.: 040 - 43 43 34) oder direkt an Michael Batz im Theater in der Speicherstadt wenden (Tel. 040 - 369 62 37)