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Der Ghetto-Elvis

Sohn einer Black-Panther-Aktivistin, Märytrer des Bandenkriegs: Vor sechs Jahren starb 2Pac Shakur, der das Realness-Mantra des HipHop verkörperte. Bis heute ist sein Andenken erstaunlich lebendig

von TOBIAS RAPP

„Wer ist eigentlich der härteste Rapper?“, fragen sich am Anfang von Spike Lees Film „Clockers“ die drogendealenden Homies, als sie im Park sitzen und auf Kundschaft warten. „Chuck D.“, schlägt jemand vor. Nee, wird er abgebügelt: „He’s never shot nobody.“ Auch andere Rapper kommen schlecht weg: „They ain’t slappin’ bitches up. They’ve never been to jail for murder.“ Da bleiben nicht viele übrig. Und tatsächlich beendet einer der Jungs die Diskussion recht bald: „The only niggas I hear representin’ is Tupac, G-Rap and Wu-Tang.“ – „Chuck D. has not been shot to death“, hätte noch jemand hinzufügen können. Doch der Film ist von 1995, und da war Tupac noch am Leben. Allerdings nicht mehr lange: In der Nacht vom 6. auf den 7. September 1996 wird auf 2Pac Shakur geschossen, kurz nachdem er den Boxkampf von Mike Tyson gegen Bruce Seldon im MGM Grand Hotel von Las Vegas verlassen hat. Am 13. September stirbt er an seinen Schussverletzungen. „Live by the gun, die by the gun“, steht noch heute auf einem riesigen Tupac R.I.P.-Wandgemälde im New Yorker East Village.

Echt erzähltes Leben

Ob Tupac nun der härteste Rapper war, mögen andere entscheiden. Der beste Rapper war er mit Sicherheit nicht, wenn auch der wahrscheinlich einflussreichste. Aber wenn es einen Rapper gab, der das HipHop-Mantra des „Keepin’ it real“ am überzeugendsten verkörperte, dann war es Tupac Shakur. Obwohl – oder vielleicht gerade weil – sein Leben unendlich viel komplexer war, als es das Klischee vom Gangster-Rapper verlangt, der erst an der Ecke steht und Drogen verkauft, um dann zu entdecken, dass es wesentlich sicherer und außerdem glamouröser und besser bezahlt ist, von diesem Leben zu erzählen.

Vielleicht ist er auch deshalb der erste afroamerikanische Showbiz-Tote seit Charlie Parker, dem man seinen Tod nicht glaubt: dem die zweifelhafte Ehre zukommt, ständig irgendwo gesehen zu werden. Mal soll er auf Kuba sein, bei Assata Shakur, der exilierten Black-Panther-Aktivistin. Mal wird er auf einer anderen karibischen Insel gesichtet. Gab er sich nicht für sein posthum erschienenes Album das Pseudonym Makiaveli und schrieb dieser nicht in „Der Fürst“, zum politischen Überleben sei es manchmal unumgänglich, seinen Tod vorzutäuschen? Und wie hieß die Platte? „The Seventh Day Theory“. Sieben Tage vergingen zwischen dem 6. September, dem Tag, an dem die Schüsse fielen, und eben jenem 13., dem Tag des Todes. Sieben ist wiederum die Zahl spiritueller Perfektion, Dreizehn die Zahl des Unglücks. All das kann ja wohl kein Zufall sein, glauben die Verschwörungstheoretiker unter seinen Fans. Aber wie dem auch sei: Zwischen all den Jubiläumstoten dieses Sommers – von Elvis bis Kurt Cobain – wirkt Tupac Shakur tatsächlich erstaunlich lebendig.

Nun ist „Keepin’ it real“ zunächst und vor allem eins: eine Phrase. Jeder im HipHop benutzt sie, und zu guter Letzt läuft sie auf nichts anderes hinaus, als zu signalisieren: Ey Alter, ich zieh mein Ding durch und lass mir von niemandem reinquatschen, youknowwhatimsayin. Es ist die Phrase, die einer Schallplatte das Echtheitszertifikat aufstempelt: „Parental Advisory: Explicit Lyrics“. Die Welt ist wild und gefährlich, und diese Schallplatte sagt dir, welche Scheiße da draußen wirklich abgeht. Im Fall von Tupac könnte man noch hinzufügen: „Keepin’ it real“ heißt auch zu sagen, welche Scheiße da drinnen abgeht in jemandem, dessen Mutter in den Sechzigern bei den Black Panthern war, in den Siebzigern mit den Folgen der Repression zu kämpfen hatte und in den Achtzigern auf Crack war – der also als Kind und Jugendlicher das volle Programm abbekam, welches das Ghettoleben zu bieten hat: der die ganze Bandbreite an Lebenserfahrungen machte, die die HipHop-Generation geprägt haben.

Afeni Shakur, Tupacs Mutter, war Mitglied von Chapter 21, der New Yorker Abteilung der Black Panther Party (die – in einer bizarren Vorwegnahme des großen HipHop-Krieges zwischen der Ost- und der Westküste, dem Tupac schließlich zum Opfer fallen sollte – kurz nach Tupacs Geburt wegen Richtungsstreitereien aus der BPP ausgeschlossen wurde). Zwischen zwei Gefängnisaufenthalten wurde sie schwanger, als Tupac zur Welt kam, war sie gerade vier Wochen auf freiem Fuß.

Als Sohn einer militanten Aktivistin aufzuwachsen hieß, auf der einen Seite arm zu sein, ständig die Wohnungen zu wechseln und im fortwährenden Konflikt mit der Polizei zu leben. Auf der anderen Seite hieß es aber auch, dies im Dienste einer Sache zu tun. Und mit einer crackabhängigen, allein erziehenden Mutter aufzuwachsen bedeutete, nicht nur Sohn zu sein, sondern auch der Mann im Haushalt.

Sensibler „black poet“

Nun war Tupac, auch wenn er einer der genredefinierenden Gangsta-Rapper war, alles andere als ein Gangster. Als Teenager sah er sich eher als Schauspieler und Dichter, besuchte die School for Performing Arts in Baltimore und begleitete nach dem Umzug der Familie Shakur nach Kalifornien jahrelang eine lokale Aktivistin bei ihren HipHop-Workshops in die Schulen armer Stadtviertel. Seiner ersten Platte „2pacalyps Now“ hört man noch an, dass das Modell des sensiblen black poet durchaus einmal eine Option für Tupac war.

Doch der character, den Tupac schließlich für sich wählte, um seine Vorstellungen von authentischer schwarzer Erfahrung zu inszenieren – „to keep shit real“ – war der Thug, der Einzelgänger, der Outlaw. Eine Rolle, in der er all seine widersprüchlichen Erfahrungen und Meinungen spiegeln konnte. Er konnte das Loblied der welfare mother singen („Brenda’s Got A Baby“ oder „Keep Ya Head Up“) Frauen als bitches beschimpfen und ein Stück an seine Mutter richten (und in „Dear Mama“ gelingt ihm tatsächlich das, was Eminem auf immer versagt bleiben wird, nämlich Liebe und Hass, Respekt und scharfe Kritik in einer grandiosen künstlerischen Geste zu vereinen: „Even though you was a crack fiend, Mama / You still was a Black Queen, Mama“). Er konnte das Leben des westcoast playa glorifizieren und als Kind einer BPP-Aktivistin auf die politischen Hintergünde von Polizeigewalt verweisen.

Nun funktioniert die Realness des HipHop über eine doppelte Codierung: Auf der einen Seite kommuniziert sie die Erfahrung einer bestimmten Lebenswelt, you gotta hustle to survive. Auf der anderen Seite spielt sie aber genauso mit einer Zuschreibung von außen: Ihr glaubt alle, wir können nichts außer ficken und Drogen dealen? Gerne, wenn ihr mich dafür bezahlt! Schon zu seinen Lebzeiten war Tupac der Großmeister dieses Doppelspiels, ein Charakterdarsteller auf der Suche nach der Rolle seines Lebens, dem authentischen schwarzen Mann. Dass es ihm schließlich entglitt und er der Realität gewordenen Inszenierung eines Gangwars zwischen der Ost- und der Westküste zum Opfer fällt, macht ihn bis heute zu einer so faszinierenden Figur – zum Ghetto-Elvis, wie ihn der Kulturwissenschaftler Michael Dyson nennt.

Der Memorabilia-Boom

Tatsächlich verkauft sich die Tupac-Memorabilia an seinem sechsten Todestag noch so gut wie an seinem fünften, als das meiste erschien: Die Biografie („Rebel for the Hell of It“ von Armond White), der Gedichtband („The Rose That Grew from Concrete“), die hard-boiled-Recherche zu seinem Tod („L.A.byrinth: A Detective Investigates the Murders of Tupac Shakur and Biggie Smalls, the Implication of Death Row Records’ Suge Knight, and the Origins of the Los Angeles Police Scandal“), der Vibe-Fotoband, die kulturwissenschaftlichen Würdigungen („Tough Love: Cultural Criticism & Familial Observations on the life and death of Tupac Shakur“ von Michael Datcher und „Holler if you hear me“ von Michael Dyson), die Memoiren des Leibwächters („Got Your Back: The Life of a Bodyguard in the Hardcore World of Gangsta Rap“ von Frank Alexander), der Tupac-Kalender und – nicht zu vergessen – die posthum erschienenen Platten.

Vielleicht wirkt Tupac sechs Jahre nach seinem Tod aber auch deshalb noch so lebendig, weil HipHop sich seitdem nur unwesentlich weiterentwickelt hat. Zwar haben sich die Styles verändert, und von Saison zu Saison regiert ein neues Produzententeam die Radiostationen. Doch die Widersprüche, die Tupac in seiner Person verkörperte, haben sich nur auf verschiedene Protagonisten verteilt: Nach wie vor gibt es Gangsta-Rap, nur kommt er jetzt nicht mehr von der Westküste, sondern vor allem aus dem Süden. Es gibt all die Independent-Crews, die HipHop als education-Instrument begreifen, und es gibt das, was man in den USA so schön Blink-Blink nennt: das groß angelegte Zurschaustellen von Reichtum, Macht und Potenz.

Selbst Sean „Puffy“ Combs, so könnte man sagen, scheint von Tupac gelernt zu haben: Als ihm sein Player-Image zu nahe rückte, ließ er Puff Daddy sterben, um als P. Diddy wieder aufzuerstehen. Seinen Plattenverkäufen hat es nicht geschadet. Um zur Ikone zu werden, muss man wahrscheinlich weiter schnell leben und jung sterben.

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