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„Eine Schande!“

Die Zeit lauer Verlautbarungen ist vorbei: Der Widerstand gegen den Stadthallenumbau formiert sich

Als Roland Rainer, der 92-jährige Stadthallenarchitekt, am Donnerstagabend den Vortragssaal der Kunsthalle betrat, wurde er mit minutenlang anhaltendem Beifall begrüßt. Rainer – die prägende Gestalt der österreichischen Nachkriegsarchitektur – ist auch im hohen Alter immer noch als Architekt aktiv.

Von dem Empfang war er sichtlich gerührt, denn musste er von den Bremern den Eindruck gewonnen haben, „dass man die Halle hier nicht mehr schätzt“. In einem klaren, für die emotional aufgeladene Debatte geradezu sachlichen Statement machte er sich noch einmal für die ursprüngliche Bauidee stark. Joseph Sparber, Leiter der technischen Abteilung der Dywidag, die in den sechziger Jahren die Halle realisierte, erläuterte die konstruktiv-technische Besonderheit des Bremer Baus.

Fazit: Mit dem innovativen Tragwerk eines zugverankerten Hängedachs in Stahlbeton seien erstmals bis dato nur im Brückenbau verwendete Erkenntnisse im Hallenbau eingesetzt worden.

Eine Konstruktion, deren Aufsehen erregende Form – Sparber sprach von einem „stilisierten sechsfachen Schiffsbug“ – sich für ihn wie für viele andere seither signethaft mit dem Namen Bremen verbunden habe. Der Ingenieur konnte zudem nur verwundert zur Kenntnis nehmen, dass für den geplanten Umbau der diffizilen Konstruktion die ursprüngliche Konstruktionsfirma nicht konsultiert worden sei.

Rainer scheint inzwischen die Hoffnung aufgegeben zu haben, durch Argumente die Bremer Bauverantwortlichen von ihren zweifelhaften Plänen abzubringen. Mit anderen Worten: Auf die Stadt wird in Sachen Stadthalle ein urheberrechtliches Verfahren zukommen.

Und die Bremer? Den zahlreich anwesenden Bremer Architekten unter den gut 200 Zuhörern war das Unbehagen darüber anzumerken, dass man sich zu lange nur mit lauen Verlautbarungen zufriedengegeben hatte. Der ehemalige Senatsbaudirektor Osthaus: „Es ist eine Schande für unseren Berufsstand! Wir müssen das Problem auch politisch lösen durch ein Engagement aus der Architektenschaft.“ Nun wollen sich die Berufsverbände BDB, BDA und die Architektenkammer zu einer konzertierten Aktion zusammentun.

Höchste Zeit, denn die Dekonstruierung des Symbols geht weiter: Wie inoffiziell zu erfahren war, ist nun auch über einen neuen östlichen Anbau entschieden worden. In einem Gutachterverfahren soll der mit dem Umbau beauftragte Bremer Architekt Thomas Klumpp obsiegt haben. Man wundert sich über nichts mehr. In einem jüngst von der Kulturbehörde in Auftrag gegebenen Gutachten zum Bewerbungsverfahren um den Titel „Kulturhauptstadt Europa“ ist die Stadthalle noch als architektonisch-kulturelles Highlight angeführt. Den Punkt kann man wohl demnächst streichen.

Eberhard Syring

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