: Kreuzchen mit Köpfchen
Einen Tag vor der Bundestagswahl noch unentschlossen? Die taz weiß Rat: Wir erklären, wie Sie in Ihrem Wahlkreis clever abstimmen
von ROBIN ALEXANDER
Wahlkreis 76, Mitte: Ein Traumwahlkreis für konservative Berliner, bietet sich doch die einmalige Chance, einen penetranten linken Quälgeist loszuwerden. Alle, die Wolfgang Wielands Nachfragen in Sachen Bankgesellschaft so richtig leid sind, wählen in Mitte grün. Gewinnt Wieland, muss er nämlich in den Bundestag. Und im Abgeordnetenhaus ist endlich Ruhe im Karton.
77, Pankow: Die 27-jährige Jurastudentin Sandra Brunner will für die PDS in den Bundestag und dort ihr zweites Staatsexamen machen. Wer ihr diesen Stress nicht antun möchte, kann Günter Nooke (CDU) wählen oder Werner Schulz (Grüne). Ach nee, die Grünen sollen in Pankow ja für Wolfgang Thierse (SPD) stimmen, damit die PDS rausfliegt und die SPD mit den Grünen und nicht mit der CDU oder der FDP oder wie oder was. Sadistische Prenzlberger freuen sich schon auf eine Wiederholung des Klassikers von 94 und 98: Wenn der Bär weint.
78, Reinickendorf: Das ist kein Wahlkreis, das ist eine Halde für Altmetall mit Beulen. Die SPD entsorgte ihren gescheiterten Landesvorsitzenden Detlef Dzembritzki schon 1998 in die hinteren Reihen des hohen Hauses. Das Gleiche plant nun die CDU mit Roland Gewalt, der sich seit Jahr und Tag für Law und Order und schwarze Schnäuzer einsetzt. Dzembritzki oder Gewalt – das ist wirklich die Qual der Wahl!
79, Spandau-Charlottenburg Nord: Favorit ist hier der 34-jährige Sozialdemokrat Swen Schulz. Wer ihn will, muss ihn wählen, denn auf der Landesliste steht er nur unter „ferner liefen“. Und von Kai „Wir-sind-nicht-die-Mitte“-Wegner, 30 Jahre alt, CDU, Hertha-Fan, will sich doch wirklich niemand im Bundestag vertreten lassen, oder? Den besten Wahlkampfspruch klopfte Grünenblondie Lisa Paus in der BZ: „Für mich gilt: spannend, spannender, Spandau.“
80, Steglitz-Zehlendorf: Ein Kopf-an-Kopf-Rennen zweier Anwälte. Klaus Uwe Benneter (SPD) wirbt damit, ein Freund von Bundeskanzler Schröder zu sein. Stimmt das überhaupt? Uwe Lehmann-Brauns jedenfalls hat nicht einmal in der örtlichen CDU Freunde. Sicher im Bundestag: Markus Löning, früher bei den Grünen, heute auf gutem Listenplatz bei der FDP.
81, Charlottenburg-Wilmersdorf: Die Wahlsiegerin steht fest: Merkel. Schrieb der Tagesspiegel schon am Donnerstag. Blöderweise war Angela (CDU) gemeint, nicht Petra-Eveline (SPD). Alle, die dort leben, sollten dennoch brav für die geschiedene Angestellte stimmen. Oder wollen Sie von Siegfried Helias (CDU), dem Friseur der Love Parade, vertreten werden? Den Einzug von Günter Rexrodt (FDP) könnte nur die 5-Prozent-Hürde verhindern. In diesem unwahrscheinlichen Fall hätte Rexrodt mehr Zeit für sein Hobby: Astrophysik. Neben seinen 487 Aufsichtsratssitzen natürlich.
82, Tempelhof-Schöneberg: Der Wahlkreis von Renate Künast. Was hat die grüne Verbraucherministerin nicht alles vorzuweisen: Hühner befreit, Eier beglückt, Bauernmafia bekämpft, Grüne Woche überlebt. Und dazu noch hervorragend geschminkt auf dem Wahlplakat. Künast hat keine Chance? Ach was!
83, Neukölln: Die Kandidatin der PDS, Evrim Baba, ist chancenlos. Denn echte Kommunisten wählen natürlich Ditmar Staffelt (SPD). Der frühere Mitkonstrukteur der Bankgesellschaft und heutige Wirtschaftsstaatssekretär versucht, die Prinzipen der Berliner Wirtschaftspolitik auf ganz Deutschland zu übertragen. Das hält die stärkste Volkswirtschaft nicht aus.
84, Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost: Der Kuschel-Wahlkreis. Drei linke Kandidaten zum Liebhaben. Wer knuffige Jungsozis mit Glatze mag, wählt Andreas Matthae. Mutterkomplex und Helfersyndrom löst mit 63 Jahren immer noch Christian Ströbele in seinem verzweifelten Kampf ums erste grüne Direktmandat aus. Und wer auf echte Kerle steht, der wählt natürlich Bärbel Grygier (47, parteilos, für PDS), die mit Genuss raucht und mit Genuss als Gesundheitsstadträtin und Bürgermeisterin die Zigarettenindustrie quälte.
85, Treptow-Köpenick: Hier kann sich entscheiden, ob die PDS wieder in den Bundestag einzieht und so vielleicht Rot-Grün verhindert. Siegfried Scheffler (SPD) schlug hier 1998 sogar den Papa Schlumpf der PDS, Lothar Bisky. Wie der blasse Scheffler das angestellt hat, weiß allerdings keiner mehr. Sein Gegner heißt diesmal Ernst Welters (171cm / 125 Kilo). Der Dicke wirbt um Gegner des Flughafenbaus, dem seine Partei im Senat gerade zugestimmt hat.
86, Marzahn-Hellersdorf: Hier kandidiert eine echte Ministerin. Ja. Doch. Wirklich. Christine Bergmann (SPD) ist nachweislich Bundesfamilienministerin. Bisher hat das niemand gemerkt, aber für die nächste Legislaturperiode hat die SPD ja in jeder Straße vier Gesamtschulen versprochen. Gute Chance also für Bergmann? Bessere Chancen für Pau. Die frühere Landeschefin der PDS wird außerhalb Berlins immer noch mit einem kleinen, bayerischen Kobold verwechselt, der unsichtbar wird, klebt er nicht gerade an einem Leimtopf fest. Auch nach dem Abgang von Gregor Gysi werden die Sozialisten also nicht ohne eine kleine, lustige Gestalt im Bundestag auskommen müssen.
87, Lichtenberg: Hier kann sich die taz zu keiner Wahlempfehlung durchringen. Sorry, aber bei diesen Kandidaten! Die PDS-Favoritin Gesine Lötzsch möchte per Bürgerbegehren jede „spekulative Diskussion untersagen“ über die Streichung von Zuschüssen für den Tierpark Friedrichsfelde. Gegen Lötzsch stellt die SPD mit Andreas Köhler einen Steuerberater mit dem Hobby „Joggen“. Georg Eickhoff wäre als Rädelsführer einer CDU-Erneuerer-Truppe namens „Die Hugenotten“ eine netter Wahltipp gewesen. Aber wir empfehlen doch niemand, der seinen Wahlkampfauftakt von einem ehemaligen Republikaner moderieren lässt.
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