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Ü 60 spielt rechtsaußen

Wahlanalyse des Statistischen Landesamtes: SPD punktet bei Armen, CDU und FDP bei Reichen. Grüne beliebt bei Jung und Alt. Schills Hochburgen weiterhin im Osten und Süderelberaum. Staatsrat Wellinghausen relativiert Absturz

von HEIKE DIERBACH

Das Statistische Landesamt hat Verblüffendes festgestellt: „Es ist schon länger so, dass die grünen Wähler älter werden“, sagte der Leiter Wolfgang Bick gestern bei der Vorstellung der Hamburger Wahlanalyse. Fast jeder fünfte 45- bis 59-jährige Hamburgern hat Grün gewählt. Gleichzeitig konnte die Partei in Hamburg junge Wähler gewinnen – ein Grund für ihren Erfolg bei der Bundestagswahl. Eine ähnliche Erklärung für den Absturz der Schill-Partei konnte Landeswahlleiter und Schill-Staatsrat Walter Wellinghausen nicht geben – er wollte diesen auch statistisch nicht bestätigen.

Wähler machen mobil

Wie nach jeder Wahl hatten die Mitarbeiter des Statistischen Landesamtes die Nacht durchgemacht, um gestern erste Analysen präsentieren zu können. Diese bestätigen den Eindruck des Wahlabends, dass es in Hamburg große Bewegungen der WählerInnen gegeben hat. Hamburg steht dabei auch bundesweit für das Extreme: Die CDU fuhr hier mit minus 1,9 Prozentpunkten die höchsten Verluste ein, die GAL brachte es mit plus 5,5 Prozentpunkten auf das beste grüne Landesergebnis, das es überhaupt bisher in der Bundesrepublik gegeben hat. Schill verliert hingegen im Vergleich zur Bürgerschaftswahl vom vorigen Jahr 70 Prozent seiner WählerInnen: 40.200 HamburgerInnen gaben ihm am Sonntag noch die Stimme. Damit ist es rechnerisch möglich, dass die Verluste der CDU (21.400 Stimmen weniger als 1998) auf sein Konto gehen. Die restlichen 20.000 Schill-Stimmen könnten von der DVU gekommen sein, die 1998 genau so viele Stimmen erreichte und diesmal nicht antrat.

Reich und konservativ

Allerdings hat das Statistische Landesamt nicht, wie nach der Bürgerschaftswahl, die Wählerwanderungen von Partei A zu Partei B untersucht, sondern nur die Verteilung nach Merkmalen wie Alter, Einkommen, Bildungsstand oder Wohnort. Dabei lässt sich feststellen: Die Partei der kleinen Leute ist die SPD. Sie punktet vor allem in Vierteln mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigem Durchschnittseinkommen. Spitzenreiter ist das Wahllokal „Bauerbergweg“ in Horn mit 63,8 Prozent.

Je reicher der Wähler wird, desto konservativer denkt er offenbar: Die CDU räumt in den Elbvororten und feinen Innenstadtvierteln ab, Spitzenreiter ist hier das Wahllokal „Isestraße 146“ mit 57,2 Prozent. Auch bei der FDP bestätigt die Statistik das Image der „Partei der Besserverdienenden“. Sie erreicht im Wahllokal „Bramfelder Dorfplatz 5“ sogar ihr Traumziel von 18,8 Prozent. Allerdings musste sie in ihren Hochburgen wie Wellingsbüttel oder Nienstedten auch die stärksten Verluste hinnehmen.

Allroundtalent GAL

Quer durch alle Schichten geht hingegen offenbar die Neigung zu den Grünen – hier gibt es keinen statistischen Zusammenhang mit dem Einkommen. Entsprechend punktet die Partei sowohl in den Elbvororten und den Walddörfern als auch in Eimsbüttel, Altona und Mitte. Spitzenreiter ist das Altonaer Wahllokal „Bleickenallee 5“ mit 45,4 Prozent für die GAL. Für den Stadtteil St. Pauli wird die Partei sogar stärkste Kraft mit 38,3 Prozent.

Schill hat seine Hochburgen nach wie vor südlich der Elbe und im Osten. Seine Bestmarke erreicht er wieder in Wilhelmsburg, allerdings reicht es im Wahllokal „Prassekstraße 5“ nur noch für 12,9 Prozent. Den Vergleich mit der einzigen möglichen Referenz, der Bürgerschaftswahl 2001, lehnte Staatsrat Wellinhausen als „statistisch nicht zulässig“ ab: Die großen Unterschiede seien vielmehr „ein Zeichen für die Aufgeklärtheit der Hamburger Wähler, die eben zwischen Landtags- und Bundestagswahlen genau unterscheiden“. Eben so hatte auch Schill am Wahlabend sein Scheitern relativiert.

Je älter, desto Schill

Neben dem Einkommen spielt das Alter bei der Wahlentscheidung eine Rolle. Die Kurzformel lautet hier: Je älter, desto rechter. Bei den Hamburger Jungwählern (18 bis 24) kann neben der GAL noch die PDS ungewöhnlich punkten. Sie liegt hier mit 4,4 Prozent der Stimmen sogar über ihrem Bundesdurchschnitt. Hingegen bleibt die CDU mit 15,2 Prozent noch weit hinter der GAL (22,1 Prozent) zurück. In der Altersgruppe „60 und älter“ allerdings kehrt sich der Trend um: Die Zustimmung zur CDU schnellt auf 36,8 Prozent hoch. Auch Schill bleibt ein Phänomen des Alters: Fast jeder Zweite seiner Wähler ist über 60. Für die SPD gibt es keinen Alterstrend.

siehe auch kommentar auf SEITE 25

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