: Lernen von Geothermie
In Österreich laufen die ersten Holzkraftwerke mit ORC-Prozess. Die Ausfallzeiten sind gering. Jetzt wird die Technik auch in Deutschland immer mehr zum Thema
Die These kursiert bis heute: Wer Strom aus fester Biomasse gewinnen will, muss große Kraftwerke bauen. Denn dann sind die hohen Temperaturen zu erzielen, die den sinnvollen Einsatz einer Dampfturbine ermöglichen. Das kleine Holzkraftwerk für die dezentrale Strom- und Wärmeerzeugung, so der Glaube von Skeptikern, sei unrealistisch.
Doch die These stimmt nicht mehr. Denn eine neue Technologie macht inzwischen die Stromerzeugung bereits bei deutlich niedrigeren Temperaturen möglich. Sie nennt sich Organic Rankine Cycle (ORC) und arbeitet ähnlich einem klassischen Wasser-Dampf-Prozess. Der entscheidende Unterschied ist, dass anstelle von Wasser ein organisches Medium verwendet wird. Da es günstigere Verdampfungseigenschaften besitzt, kann es mit niedrigerer Temperatur und geringerem Druck zum Antrieb einer Turbine dienen.
Ein wesentlicher Wegbereiter dieser Technik war die Geothermie. Für die Stromerzeugung bei Erdwärmetemperaturen um 100 Grad optimierte man die ORC-Prozesse – und entdeckte darin bald auch neue Perspektiven für die Holzverstromung. Allerdings ließ sich die Technik nicht eins zu eins übernehmen: Während die Geothermie mitunter im Temperaturbereich um 100 bis 120 Grad arbeitet, wo sich Kohlenwasserstoffe wie Iso-Pentan, Iso-Oktan und Toluol als Arbeitsmittel anbieten, erreichen dezentrale Biomassekraftwerke immerhin ein Niveau von 300 Grad. Ein anderes Medium musste her: Man stieß auf Silikonöl.
Damit erwacht eine uralte Technologie zu neuem Leben. Denn der ORC-Prozess an sich ist schon lange bekannt – schließlich lebte Namensgeber William John Macquorn Rankine, Professor in Glasgow, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Fortschritte der jüngsten Zeit basieren allein auf der Entwicklung neuer Arbeitsmittel. „Daher wird auch die genaue Zusammensetzung der Mittel von den Herstellern als Betriebsgeheimnis behandelt“, weiß Werner Bußmann von der Geothermischen Vereinigung.
Und so funktioniert das Verfahren: Die Wärme wird über einen Thermoölkreislauf von der Quelle auf den ORC-Prozess übertragen. Dort bringt die Wärme das Arbeitsmedium zum Verdampfen. Der Dampf treibt eine Turbine an, kondensiert, wird komprimiert und wieder zum Verdampfer geführt – ein geschlossener Kreislauf.
Unterschiedlichste Pilotprojekte mit ORC-Technik sind in den vergangenen drei Jahren ans Netz gegangen: Im österreichischen Altheim wird seit zwei Jahren Erdwärme von 106 Grad mit der neuen Technik verstromt; im bayerischen Lengfurt erzeugt die Firma Heidelberg Cement Strom mit 300-Grad-Abwärme ihrer Fabrik; und in der Steiermark läuft seit 1999 ein Holzkraftwerk.
Ausgereift und zuverlässig
„Die Technologie ist ausgereift, die Ausfallzeit sehr gering“, sagt Ulrich Mrowald vom Technology Center der Heidelberg Cement nach gut zwei Jahren. Und auch Erwin Reisenhofer von der Firma Bios Bioenergiesysteme im österreichischen Graz versichert: „Der ORC-Prozess ist marktreif.“ Neben dem Pilotprojekt in Admont betreut seine Firma zwei weitere ORC-Biomasse-Kraftwerke in Österreich – eines in Lienz, und ein zweites in Fussach. Die Stromgestehungskosten auf ORC-Basis liegen nach Firmenangaben je nach Anlagengröße zwischen 5,8 und 9,4 Cent je Kilowattstunde. Der ideale Einsatzbereich bei der Biomasse-Verstromung, sagt Reisenhofer, liege „zwischen 300 und 1.200 Kilowatt elektrisch“. Kleinere Anlagen seien zwar realisierbar, aber zu teuer. Und in größeren Leistungsklassen werden andere Technologien interessant.
Ingwald Obernberger von der Technischen Universität in Graz hebt einen weiteren Vorteil des ORC-Prozesses hervor: „Er hat ein sehr gutes Teillastverhalten.“ Zwischen 50 und 100 Prozent der Nennleistung bleibt der elektrische Wirkungsgrad einer ORC-Anlage praktisch konstant, während Dampfmotoren im Wirkungsgrad deutlich abfallen.
Doch während die österreichischen Ingeniere recht euphorisch sind, ist man in Deutschland zurückhaltender. „Die Anlagen sind noch nicht so weit, dass wir sie als eine der Dampfturbine vergleichbare Technologie bewerten“, sagt Christian Wilckens vom Energieconsulting-Unternehmen Fichtner in Stuttgart. „Wir würden eine ORC-Anlage einem Kunden nur dann vorschlagen, wenn er ausdrücklich etwas Neues machen will; wenn er eine Technologieführerschaft anstrebt.“ Auch Martin Kaltschmitt vom Institut für Energetik und Umwelt in Leipzig warnt vor übertriebener Euphorie. Man dürfe nicht vergessen, dass der ORC-Prozess nur für wärmegeführte Biomasse-Kraftwerke, bei denen die Stromerzeugung sekundär ist, in Frage komme.
Unterdessen haben die Österreicher längst den deutschen Markt im Blick. „Wir sind auch an einem ersten ORC-Projekt in Deutschland dran“, sagt Bios-Ingenieur Reisenhofer – über den Standort allerdings schweigt er noch. BERNWARD JANZING
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