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die heizperiode: ein dramaWALTRAUD SCHWAB über Ofenheizung

Ihre Vorteile werden immer am Schluss genannt, von Leuten, die keine haben

95.000 Wohnungen mit Ofenheizung soll es laut Schätzungen des Senats noch in der Stadt geben. „Die meisten liegen in Teilen Neuköllns und im Wedding“, erläutert die Dame aus der Verwaltung. Tatsächlich, ich wohne in einer. Meine Freundin auch. Katzenjammer befällt sie alljährlich im Frühling. „Im Frühling?“, wird irritiert gefragt. Ja, nach den ersten Tagen mit Sonnenschein, dann, wenn es draußen angenehm wird und drinnen auch! Sie weiß, dass die warme Jahreszeit – hat sie einmal begonnen – bald vorbei ist und danach wieder geheizt werden muss. Beste Bedingungen, damit der Sommer ein Reinfall wird. Denn je mehr er zur Entfaltung kommt, desto näher rückt der Winter.

Spätestens im September überträgt sich ihre Verzagtheit. Aufziehendes Ungemach liegt in der Luft. Beim Spaziergang im Park bleiben wir vor einem Haufen kleiner Äste stehen, abgerissen beim diesjährigen Sturm. „Brennen wie Zunder würde das, wo es so trocken ist.“ Mit großen Augen betrachten wir den begehrenswerten Abfall. Uneingeweihte denken, wir starren ins Leere. Beim nächsten Mal geht es mit Plastiktüte in den Park. „Transit“ wird draufstehen oder „Oasis“.

Seit zwei Tagen ist es so weit. Trotz Wolldecke um den Körper will keine Freude aufkommen. Der Griff zur Teetasse bringt kaum Erleichterung. Der Blick zum Kachelofen hilft nicht weiter, obwohl er sich aus dem Nichts in den Mittelpunkt schiebt. Auf dem Höhepunkt der Kontemplation springen wir beide auf, rennen zum Ofen, reißen die Klappe auf und sind entsetzt: Die Asche vom Frühjahr ist noch drin. Das war’s für den Tag. Am nächsten aber gilt: kein Pardon. Im Keller werden die Briketts vom letzten Winter betrachtet. Vorrat für drei Wochen. Sommerstaub hat sich auf sie gelegt. Ein Schatz, den zu heben es gilt. Gewürdigt wird das nicht. Die Verachtung, mit der wir ein paar hoch schleppen, ist alt. Vor Jahren hat eine Künstlerin aus dem Klang der Fußstapfen von Berlinerinnen, die Kohleneimer Treppen hinauftragen, eine Toninstallation gemacht. Ein harmonisches Stück war das nicht.

Menschen in Ofenheizungswohnungen kennen sich aus mit kalten Füßen, Wärmflaschen und den Tücken des Feuers. „Ein Mensch, der einen Ofen hat, zerknüllt ein altes Zeitungsblatt, steckt es hinein und schichtet stolz und kunstgerecht darauf das Holz.“ Alles fängt mit den besten Absichten und der Hoffnung auf Glück an. Bei Eugen Roth endet es im Desaster: „Jedoch aus seines Ofens Bauch quillt nichts als beißend kalter Rauch. Der Mensch, von Wesensart geduldig, hält sich allein für daran schuldig, und macht es nun noch kunstgerechter, der Ofen zieht nur um so schlechter.“ Warum wir nicht ausziehen, werden wir gefragt? „Home is where thy heart is“, kommt ein Achtzigerjahreschlager vom Radio. Wahrscheinlich ist es Lene Lovich, die singt.

Womit wir uns noch auskennen? Erstens: Dass sich hinter verschlossenen Türen unbeheizte Zimmer befinden. Zweitens: Dass ein Wochenende bei Freunden mit Zentralheizung Schauder beim Heimkommen auslöst. Der Kühlschrank hat sich abgestellt, weil es in der Küche kälter war als im Kühlschrank selbst. Das aufgetaute Wasser läuft über den Fußboden. Drittens: Dass, wer morgens einheizen muss, eine Stunde früher aufsteht. Erst wenn die Briketts durchgeglüht sind, beginnt der Tag. Bis dahin ist das Morgengrauen nur im Wollmantel zu ertragen, und besonders schaurig ist es im Bad. Lüften wird zur Glaubensfrage. Kalt duschen der einzige Luxus, auf den jemand mit Ofenheizung gerne verzichtet. Stattdessen ist die Garderobenplanung ganz auf Rollkragen ausgerichtet. Schützt vor Kälte und gegen Falten am Hals. „Tolle Wärme habt ihr hier“, sagen Freunde, um den Reigen der Trümpfe zu ergänzen. „Und die Miete so billig.“ Die wahren Vorteile der Ofenheizung werden immer am Schluss genannt. Von Menschen, die keine haben.

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