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steuerpolitikNew Economy für Arme

Sosehr bei den Koalitionsverhandlungen Superminister und Kompetenzen interessieren: Das kleine, wichtige Wort lautet „Finanzierungsvorbehalt“. Es ist einfach kein Geld da für große Politik.

Kommentarvon ULRIKE HERRMANN

Wo Geld fehlt, da ist Fantasie gefragt. Diverse Gremien haben auch schon diverse Ideen, die nicht alle mit den Koalitionsverhandlungen zu tun haben. Die Grünen wollen das Ehegattensplitting kappen; die Reformkommission für Gemeindefinanzen schlägt vor, die Gewerbesteuer auch auf Freiberufler auszudehnen; und SPD-Länder fordern, die Vermögensteuer wieder einzuführen und die Erbschaftsteuer anzuheben.

Das klingt alles sehr technisch. Doch es braucht keinen Steuerberater, um das Gemeinsame dieser Vorschläge zu erkennen: Stets sollen die Wohlhabenden belastet werden. Das ist neu, denn bisher hat Rot-Grün nichts dazu beigetragen, die Kluft zwischen Arm und Reich zu schließen. Warum also jetzt, so plötzlich? Die Haushaltskrise allein kann diesen Mentalitätswandel nicht erklären, denn das öffentliche Geld ist schon lange knapp.

Aber eine gewisse Gleichzeitigkeit von Ereignissen fällt auf. Im letzten halben Jahr hat der DAX noch einmal die Hälfte seines Wertes verloren. Anders als in den Boomjahren glaubt niemand mehr, dass jeder reich werden kann, wenn er nur in ein paar Aktien investiert. Vermögen, das fällt nun wieder auf, ist ein seltenes Privileg. Reich ist fast nur, wer schon reich geboren wurde. Kein Wunder, dass jetzt viele darüber nachdenken, wie sich diese Wenigen ein bisschen schröpfen lassen.

Der neoliberale Glaube ist dahin, dass der Reichtum aller wachsen kann, wenn die Reichsten noch reicher werden. Das Zeitalter des sozialdemokratischen Denkens kehrt zurück. Allerdings gibt es eine bizarre Einschränkung, eine Insel, auf der der Neoliberalismus gerade unter Rot-Grün gedeiht: Das sind die „Hartz-Reformen“ für den Arbeitsmarkt. Sie setzen unverändert auf Flexibilisierung und auf einen Niedriglohnsektor. Und damit sich kein Arbeitsloser weigern kann, werden die Zumutbarkeitsregeln verschärft. Immer noch gilt die Vermutung, dass es allen besser geht, wenn die Armen ein bisschen ärmer werden.

Während bei den Reichen inzwischen wieder zu erkennen ist, dass sie ein Produkt der Klassengesellschaft sind, wird genau dies den Unterprivilegierten nicht zugestanden. Wir steuern auf eine neue New Economy zu. Aber nur für Arme.

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