: Anderes Afrika, anderes Alphabet
Können Kongolesen Kulturen kreieren? Walter Abish zählte in den Siebzigerjahren zu den Erneuerern der US-amerikanischen Literatur. Sein exzentrischer Roman „Alphabetisches Afrika“, eine Persiflage auf die Sprache des untergehenden Kolonialismus, erscheint nun endlich auch in deutscher Übersetzung
von KARSTEN KREDEL
Auf dem Umschlag von Walter Abishs Debütroman „Alphabetical Africa“, der nach beinahe drei Jahrzehnten erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt, ist der Autor selbst zu sehen: Bekleidet mit einer groben Jacke, eine Militärtasche über die Schulter gehängt, stützt er sich an einer Wand ab. Er ist im Halbprofil aufgenommen; sein rechtes Auge ist verdeckt, sein linkes unter einer Augenklappe verborgen. Im Hintergrund sind auf steinernen Sockeln platzierte Plastiken zu sehen, die nackte Männer darstellen und die man augenblicklich als afrikanisch identifiziert.
Offenbar befindet sich Abish in einem Museum. Ist seine Haltung nicht die eines Rastenden? Die Jacke sieht aus wie eine, die man bei einer Safari tragen würde – oder denkt man daran nur, weil man einen Zusammenhang mit Plastiken und Buchtitel herstellt? Die Zeichen sind allzu vertraut. Doch was können wir aus ihnen schließen?
„Ages ago, Alex, Allen and Alva arrived at Antibes“, hebt dann das Buch an, und so geht es erstmal weiter. Die Kapitel sind mit Buchstaben benannt, von A bis Z und wieder zurück. Im ersten Kapitel werden ausschließlich Wörter mit dem Initial A verwendet, im zweiten sind A und B erlaubt, im dritten kommt das C hinzu. – Geht das überhaupt? Es geht, sehr elegant sogar! Schon ist man mittendrin in einer lustvollen Groteske: ein paar Europäer in einem phantastischen Afrika – eine alte Geschichte als sprachlicher Slapstick. „Congolese cannot create a culture“, doziert ein gewisser Chester, „can barely cook cucumbers, curds and cauliflowers.“ Jedes Kapitel bricht enthusiastisch mit einer Flut frischer Alliterationen aus den Dämmen. Doch wer den Moment herbeisehnt, in dem die sprachliche Zwanghaftigkeit endlich beruhigend lebensnaher Erzählkost Platz macht, wird enttäuscht. In der Mitte steht zwar das gesamte Alphabet zur Verfügung, der Klang aber ist derselbe geblieben: „Zambia helps fill our zoos, and our doubts, and our extrawide screens as we sit back.“ Dann geht ein Buchstabe nach dem anderen wieder verloren.
Abish war mal ein heiß gehandelter Autor: Wie Robert Coover, Don DeLillo, Ishmael Reed und andere galt er in den Siebziger- und Achtzigerjahren als Repräsentant einer erneuerten amerikanischen Literatur. Längst überkommen war das Diktat realistischen Schreibens, offiziell verworfen der Glaube an einen privilegierten ästhetischen Zugriff auf die Realität. Die Sprache selber, als Repräsentant von Wirklichkeit seit längerem entzaubert, war schillernder Gegenstand der Literatur. Abish und die anderen hatten den Zweifel daran, wie das gehen soll: die Welt in Worte zu fassen, immer im Gepäck.
Heute, gute zwanzig Jahre später, da die Neuauflage des großen Gesellschaftsromans in Form von Jonathan Franzens „Korrekturen“ mit derselben Erleichterung begrüßt wird wie die Heimkehr eines verlorenen Sohnes, ist Walter Abish so gut wie vergessen. 1931 als Sohn mittelständischer jüdischer Eltern geboren, wuchs er in Wien und, nach der Flucht vor den Nazis, in Schanghai auf; 1949 siedelte die Familie nach Israel um. Er diente in der Armee und studierte Architektur, bevor er 1957 mit seiner Frau Cecile, die später als Künstlerin bekannt wurde, nach New York ging. Es folgten Beschäftigungen als Stadtplaner, ein paar Romane für die Schublade und 1970 die Veröffentlichung von „Duel Sites“, einem Gedichtband. In den folgenden Jahren verfasste Abish vor allem Kurzgeschichten – ohne die Dramatik konventioneller Plots, mit Figuren, die ganz und gar fremd bleiben, die kaum mehr als Namen sind, an die Handlungen, Texte oder Gedanken geheftet sind wie Zettel an eine Pinnwand. Das Vertraute, sei es eine Geste, eine Augenklappe oder ein Klischee, soll in einem unerwarteten Arrangement plötzlich befremdlich anmuten. Abish will „der Sprache die Macht nehmen, mit der sie Plausibilität erzeugt und den Leser von den gedruckten Worten auf dem Papier abschirmt“.
Die Lektion mag heute nicht mehr ganz taufrisch sein, die Prosa Abishs ist es jedoch nach wie vor, weil er nicht nur von Sprache begeistert ist, sondern auch meisterlich mit ihr umgeht. „Alphabetical Africa“ ist kein schwerer Gang durch formalistische Parcours, sondern eine genüssliche Persiflage mimetischer Sprache.
Pausenlos beschreiben afrikanische Trommeln im Stile einer lokalen Yellowpress akribisch das Mobiliar eines übrig gebliebenen Kolonialbeamten. Dieser ist besorgt, die Worte könnten verloren gehen und mit ihnen die Wirklichkeit, also erteilt er den Auftrag zum Erstellen eines Inventars. Unterdessen wird Tansania orange angepinselt und ganz Afrika schrumpft, während es von einer Armee bilingualer Ameisen erobert wird. Die elastisch gewordenen Zeichen prallen aufeinander wie Comicfiguren. „Alphabetical Africa“ liest sich wie eine außer Kontrolle geratene Fibel, die immer noch in einfachen Sätzen und autoritärem Gestus die Welt bezeichnet, während Worte und Bilder in Wirklichkeit längst verrückt spielen.
In seinem nächsten Roman geht Abish auf kühle Distanz zu den Zeichen. „How German Is It“, erschienen 1980, ist Abishs ausgereiftestes Buch. Auf den ersten Blick weit weniger exzentrisch, entfaltet sich mit der faszinierenden Klarheit eines Traumes ein zwingendes, thrillerartiges Denkspiel. Wie in einer Luftaufnahme wird die Topografie eines abstrakten Nachkriegsdeutschlands erfasst, der Fokus auf dem Ort Brumholdstein, benannt nach dem „bedeutendsten deutschen Metaphysiker“, einem fiktiven Heidegger. Dann wird scharf gestellt auf die Figuren: auf Ulrich und Helmuth Hargenau, der eine Schriftsteller und verdächtig, an terroristischen Anschlägen beteiligt gewesen zu sein, der andere ein erfolgreicher Architekt, ein Konstrukteur des neuen, harmonischen Deutschlands; auf Egon und Gisela, das attraktive, wohlhabende Paar mit dem ausgewählten Geschmack; auf Franz, den Kellner, der zum Entsetzen seiner Familie in seiner Freizeit aus Streichhölzern ein Modell des Konzentrationslagers Durst fertigt, an dessen Standort Brumholdstein errichtet wurde. „Er bildete nicht nur jedes Detail nach, und zwar maßstabsgetreu, sondern etwas, das seinerzeit den Leuten so vertraut war wie ihre Kühe im Stall“, berichtet der Erzähler. Und fragt: „Was weiß Franz?“
Wie eine Sonde gleitet er einerseits mit kontrollierter Präzision über die Oberflächen, registriert die Gewohnheiten, dokumentiert das Gesagte und bohrt andererseits mit flüsternder, erregter Stimme nach dem Ungesagten in den Konversationen, sucht nach Leichen unter den neuen Gebäuden. Was lässt sich aus ihnen schließen, den deutschen Zeichen? Dennoch: Es geht nicht darum, eine Wahrheit aufzudecken, nicht um richtige Antworten; die Frage selbst ist entscheidend, die auf ihrer beunruhigenden Präsenz besteht und auch an den Fragenden gerichtet werden muss – denn jede Gewissheit, beharrt der Roman, ist unmoralisch.
„How German Is It“ wurde 1980 mit dem renommierten PEN/Faulkner Award ausgezeichnet, die deutsche Übersetzung ist jedoch seit Jahren nicht mehr lieferbar – „Eclipse Fever“ aus dem Jahr 1993 wurde hier gar nicht erst verlegt. Schon deshalb ist es bemerkenswert, dass es „Alphabetical Africa“, Abishs exzentrischstes Prosastück, jetzt endlich auf Deutsch gibt.
Das Buch galt lange Zeit als unübersetzbar. Soll man trotz des formalen Prinzips versuchen, konventionell vorzugehen? Oder soll man Abishs Spiel in der anderen Sprache um zentrale Motive herum neu inszenieren? Jürg Laederich hat sich für beides entschieden, wobei Neuerfindungen besonders dort zum Einsatz kommen, wo die textgetreue Übertragung in Engpässen mündet. Beim „C“ können eben weder Kolonialismus noch Katholizismus eingeführt werden, und in den abschließenden Kapiteln ist es unmöglich, über das Vergessen zu reden – und da fangen die Probleme erst an. Naturgemäß macht das Deutsche mehr Wörter, und beinahe unvermeidlich ist es auch, dass Abishs lakonischer, eleganter Flow sich nicht erhalten ließ.
Laederich muss aufs Gelehrte ausweichen, macht aber aus der Not eine Tugend und entwickelt einen eigenen Sound. Schade ist es nur um manche Pointe: „I have invented her lovers, but my inventions may, for all I know, be accurate“ etwa wird, ganz ohne Zwang, zu „Ich habe ihre Liebhaber erfunden, aber meine Erfindungen könnten, falls ich korrekt informiert bin, in etwa allem approximativ entsprechen“. Doch wie lauten die Schlussworte des Romans: „… andere Alva anderes Afrika anderes Alphabet“. Das weiß man auch beim Verlag. Deshalb enthält die eben erschienende Ausgabe beide Bücher.
Walter Abish: „Alphabetisches Afrika“. Amerikanisch und Deutsch, übersetzt von Jürg Laederach. Urs Engeler Editor, Weil am Rhein 2002. 384 S., 27 €
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