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Ohne Ticket an die Urne

Busse und Bahnen fahren Sonntag erstmals zum Nulltarif. Grund ist nicht die Wahl, sondern der europaweite autofreie Tag. ADFC plant Raddemo

von PLUTONIA PLARRE

Am kommenden Sonntag wird eine alte Forderung der autonomen Linken in Erfüllung gehen – wenn auch nur für 24 Stunden: Von Betriebsbeginn bis Betriebsschluss werden sämtliche Busse und Bahnen in der Stadt zum Nulltarif fahren. Sogar die Mitnahme von Fahrrädern ist kostenlos.

Anlass für den einmaligen Kundenservice von BVG und S-Bahn ist nicht, dass an dem Tag die Bundestagswahl stattfindet, sondern der europaweite autofreie Aktionstag. Der Fahrradclub ADFC wird deshalb am Sonntag auch eine große Radlerdemonstration in Form einer Kreisfahrt durchführen, die um 11 Uhr am Brandenburger Tor beginnen und dort um 16 Uhr auch wieder enden soll.

Dass Busse und Bahnen zum Nulltarif rollen, hat es in der Geschichte der Berliner Verkehrsbetriebe bisher nicht gegeben. Die Nachricht sorgte bei Verkehrsexperten allenthalben für Überraschung. Schließlich hatte man bei der BVG in der Vergangenheit stets auf Granit gebissen, wenn es darum gegangen war, die Berliner bei besonderen Gelegenheiten wie dem Umwelttag am 2. Juni mit einem kostenlosen Ticket zum Umsteigen auf das öffentliche Nahverkehrssystem zu bewegen. Einzig zum Verkauf von Fahrscheinen zum ermäßigten Preis waren die Verkehrsbetriebe bereit. „Der Sinneswandel liegt am neuen BVG Vorstand. Der sorgt für frischen Wind“, freute man sich gestern in Umweltschützerkreisen.

Die Entscheidung sei „sensationell“, meint auch die Sprecherin der Verkehrsverwaltung, Petra Reetz. Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) ließ auf Nachfrage ausrichten: „Großes Lob an die BVG und an die S-Bahn.“ Strieder forderte die Berliner auf, am Sonntag das Auto stehen zu lassen: „Leute, fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, lauft oder radelt. Entdeckt eure Stadt, genießt den Tag und geht wählen.“

BVG-Vertriebsleiter Klaus Beyer sagte, die Entscheidung für den Nulltarif am 22. September sei am vergangenen Freitag „gemeinsam“ vom Vorstand gefasst worden. Man wolle damit einen markanten Punkt für die Aktionswoche des öffentlichen Nahverkehrs setzen, die am Samstag mit einem Fest auf dem Leipziger Platz zu Ende geht. Das Motto der Veranstaltung, bei der auch Peter Strieder auftritt: „Durch die Stadt ohne mein Auto.“ Auf die Frage, warum die BVG nicht schon zuvor ähnliche Nulltarif-Aktionen gestartet habe, antwortete Beyer: Das Thema sei früher eben anders „beleuchtet“ worden. Die BVG sehe ihre Aufgabe darin, die Kunden „zu umwerben“, beschrieb Beyer die aktuelle Devise. Das Berliner Nahverkehrssystem könne nicht gestaltet werden, „ohne zu gucken, was die anderen Städte in Europa machen“. ADFC-Sprecher Benno Koch begrüßte den Nulltarif: „Steter Tropfen höhlt den Stein. Auf so eine Entscheidung haben wir jahrelang hingearbeitet.“ Er gehe davon aus, so Koch, dass der Nulltarif ein zusätzlicher Anreiz zur Teilnahme an der Fahrrad-Kreisfahrt sei.

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