: Aus dem Schneider
Hamburgs geplantes Verfassungsschutzgesetz: Wie aus dem Anruf eines Tierschützers bei einer Journalistin eine Staatsaffäre werden könnte
von KAI VON APPEN
Das Telefon klingelt: taz-Redakteurin Magda Schneider nimmt an ihrem Arbeitsplatz den Hörer ab und hat Christian K. an der Strippe. Er erzählt, er sei Tierrechtler, seine Gruppe plane eine Befreiungsaktion von misshandelten Tiere. K. schlägt vor, sich für weitere Informationen im Park zu treffen. Das Treffen findet statt: Schneider notiert zwecks weiterer Recherchen fleißig und erhält unter anderem Daten von Ansprechpersonen. Was sie nicht weiß: Sie ist auf der Grundlage des neuen Hamburger Verfassungsschutzgesetzes bereits im Visier der FahnderInnen.
Denn der Verfassungsschutz hat Schneider aufgrund eines vagen Hinweises beim Treffen im Park observiert. „Was weiß sie, was wir nicht wissen?“, und wa- rum telefoniert sie mit der Rechtsanwältin Irene Feldbaum, welche K.s Tierschutzgruppe schon einmal bei einem Prozess vertreten hat? Die logische Reaktion in der Staatsaffäre nach dem neuen Gesetz: Die Kanzlei der Rechtsanwältin sowie die Diensträume der Journalistin werden verwanzt. Und weil Schneider in Staatssicherheitskreisen als „szene-nah“ gilt, werden auch noch ihre Wohnung und Privatanschlüsse beäugt und belauscht. Über die Handy-Ortung wird sie auf Schritt und Tritt verfolgt. Dabei finden die Ermittler auch heraus, dass Schneider intensive Kontakte zu einem Staatsanwalt hat, der ihr in der Vergangenheit manche geheime Angelegenheit gesteckt hat – der Lauschangriff auf die Journalistin bringt so auch den hochrangigen Staatsdiener in arge Bedrängnis.
Die Verfassungsschützer sammeln und sammeln. Und niemand weiß, was aus dem Wust an Daten wird. „Wenn sich Personen diesen Berufsgeheimnisträgern nähern, ist das für den Verfassungsschutz eine Verdachtslage“, sagt der Verfassungsexperte beim Hamburger Datenschutzbeauftragten, Harald Wollweber. Die Datenschützer lehnen daher den Gesetzentwurf der Innenbehörde in seiner jetzigen Form kategorisch ab.
Und sie können auch nachvollziehen, dass der Deutsche Journalisten-Verband (djv) und die Deutsche Journalisten-Union im DGB (dju) gegen den Gesetzentwurf Sturm laufen. Ulrike Fürniß, als Vize-Landeschefin der Gewerkschaft ver.di auch für die dju zuständig, betont: „Wir lassen uns nicht bespitzeln und nicht mundtot machen.“
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