: Kuh Pfanny steht hinter der Bühne
Hinter dem Deutschen Theater liegt ein Versuchsstall der HU-Agrar-Fakultät. Kaum 300 Meter von der Friedrichstraße hat die Großviehhaltung hat eine lange Tradition. Bis in die 80er-Jahre kam von hier Milch für Charitépatienten
Zwischen der Rauchertreppe am hinteren Bühnenausgang des Deutschen Theaters und dem angrenzenden alten Gelände der Veterinärmedizin verläuft nur die Panke. Sie ist hier nur ein schmales Rinnsal, das kurz darauf in unterirdische Rohren verschwindet. Am Schiffbauerdamm fließt die Panke aus einem viereckigen Loch in die Spree. Im Herbst wird sie regelmäßig umgeleitet, der rekonstruierte Flusslauf verstopft sonst mit Blättern.
In der Raucherpause lehnen sich die Schauspielerinnen und Schauspieler des Deutschen Theaters an ein rostiges Geländer im grauen Hof hinter dem Schnürboden und erblicken so etwas wie ländliche Idylle. Denn unmittelbarer Nachbar der rauchenden Darsteller ist mit einem Versuchsstall das Institut für Nutztierwissenschaften der Humboldt-Universität, Fachgebiet Tierernährung und Futtermittelkunde.
Hier betreut Thorsten Heusler die Kuh. Pfanny ist 23 Jahre alt und wiegt 750 kg. Sie gehört zur Rasse „Deutsches Schwarzbuntes Rind“, der verbreitetsten Milchrindrasse der DDR: Heute ist sie vom Aussterben bedroht, da diese Kühe eine geringere Milchleistung und schlechtere Melkbarkeit besitzen als andere Milchrassen.
Die alte Kuhdame Pfanny kommt aus Rostock. Sie hat nur einmal gekalbt, danach wurde sie fisteliert, das heißt, sie bekam einen künstlichen Zugang zum Pansen, einem der Vormägen, in denen das Futter vergärt wird. Ihr hohes Alter verdankt das Tier dieser Fistel. Der künstliche Eingang wird benutzt, um Proben von Futtermitteln im Magen zu platzieren, so erhalten die Wissenschaftler unter anderem Informationen über die Futterverdaulichkeit. Neben Pfanny gibt es in dem Stall noch zwei Schafe und drei Hammel.
Dr. Lutz Hasselmann, Mitarbeiter am Fachgebiet Tierernährung und Futtermittelkunde, erklärt, wie es zu der Stallanlage mitten in Berlin gekommen ist. Als der Campus im 19. Jahrhundert ausgebaut wurde, hätten zu jedem Lehrstuhl – je nach Fachgebiet – ein Hörsaal, ein Labor, technische Anlagen oder Ställe gehört. Die Angestellten, Doktoranden und Professoren hatten früher sogar eigene Wohnräume auf dem Gelände.
„In den 30er- und in den 50er-Jahren wurden hier verschiedene Rinder-Stammrassen gehalten zum Leistungsvergleich, Ende der 60er-Jahre entstanden in der DDR dann große Produktionseinheiten und man brauchte mehr Informationen über Fütterungsverfahren“, erzählt Hasselmann. Seit dieser Zeit betreiben die Tierernährer den Versuchsstall. Bis zu 22 Kühe gab es hier, die auch gemolken wurden. Noch bis in die 80er-Jahre sei die Vorzugsmilch mit einem Handwagen täglich zur Versorgung der Charité in die Krankenhausküche gebracht worden.
Seit dem Wegzug der Tiermediziner an die FU nach Dahlem stehen einige der Gebäude leer, andere wurden von der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät übernommen. Der Wegzug der Tiermediziner sei für die hier verbliebenen Mitarbeiter eine „ganz dumme Sache“ gewesen, meint Tierpfleger Heusler. „Am Anfang sind hier die Leute noch nachts mit ihren Pferden angekommen, wenn die eine Kolik hatten, um sie behandeln zu lassen“, erzählt er, „die sind ja hier viel schneller als unten in Düppel“, außerdem gibt es Probleme mit Vandalismus. Seine Kuh Pfanny zieht auch bald um, nach Dahlem, allerdings nur für den Winter.
Zwar ist eine gründliche Sanierung der Stallungen geplant und die DDR-Anbauten an das historische Gebäude sollen abgerissen werden. Universität und Fakultät seien sich aber einig, dass der Stall funktionsfähig weiter ausgebaut und genutzt werden soll, berichtet Lutz Hasselmann. Auch in Zukunft können die Requisiteure des Deutschen Theaters dann auf die Hilfe ihrer Nachbarn zählen – mit einer Schafschermaschine und einem lebendigen Schwein hat man in der Vergangenheit schon aushelfen können. TILL BELOW
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen