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zwischen den rillenReconstructing R ’n’ B: Truth Hurts und Ms. Dynamite

Letzte Wahrheiten

Zwar tut die Wahrheit manchmal weh. Dennoch muss man sagen, dass Truth Hurts wohl einer der dümmsten Namen ist, der einer Künstlerin seit Blümchen verpasst wurde. Ersonnen wurde er von ihrem Mentor Dr. Dre: Er ließ Shari Watson, wie Truth Hurts in Wirklichkeit heißt, als erste Frau bei seinem Label Aftermath unterzeichnen. Und wählte den Namen, weil er angeblich ihrer Persönlichkeit entsprechen soll. Als Dr. Dre ihr den Vertrag anbot, habe sie sich nämlich gar nicht so gefreut, wie man sich über solch ein Angebot gemeinhin freuen sollte. Dre soll das als schmerzlich empfunden haben. So schmerzlich wie die Restwelt diese Legende.

Tatsache ist jedenfalls, dass sich Shari Watson alias Truth Hurts stets so benimmt, als sei ihr eine Laus über die Leber gelaufen. Sie lächelt selten und zieht die Oberlippe oft zu einem gediegen herablassenden Gesichtsausdruck hoch, als wollte sie „Was bist du für einer?“ sagen. Und was ist sie für eine? Shari Watson ist eine, die sich im Bereich HipHop/Soul mit ihrem Truth-Hurts-Image zwischen Ashanti, dem freundlichen Baby-Next-Door, und Alicia Keys, der Bildungsbürgerin, eingeordnet hat. Dort war noch etwas Platz.

Glaubt man Dre, kann sie den Platz auch gut gebrauchen. Immerhin wird er mit der Aussage zitiert, dass sie, wenn sie noch ein kleines bisschen besser sänge, zwei Personen wäre. Doch wenn Shari Watson dann zwei Personen wäre, dann ist Mary J. Blige jetzt schon fünf. Ihr Debütalbum hat denn auch folgende Probleme: Zum einen fehlt es dem Album an genügend guten Songs. Zum anderen sind die nicht ganz so guten Songs nicht ganz so gut gesungen. Dafür stimmt die Produktion: Neben Dr. Dre saßen auch Timbaland und R. Kelly an den Reglern, den mit weitem Abstand besten Song des Albums lieferte allerdings DJ Quik. Offensichtlich von dem orientalischen Gesample der letzten Missy-Elliott- und Timbaland-Produktionen inspiriert, wird sein „Addictive“ von einem Sample aus einer indischen Filmmusik getragen, in der eine Frauenstimme in Hindi Folgendes singt: „Kaliyon ka chaman jabu bantha hai / Thoda resham lagta hai, thoda shisha lagta hai / Hire moti lar the hai, thoda sona lagta hai“.

Ob diese Zeilen etwas mit Abhängigkeit zu tun haben, weiß wahrscheinlich nicht einmal Truth Hurts – was sie jedoch nicht davon abhält, das Ganze um einige Verse über eine abhängig machende Liebe zu ergänzen. Zum Schluss grätscht dann jedenfalls Rakim in den Song und rappt noch etwas über Drogen, was in Tonfall und Kontext ganz erheblich an Eric B & Rakims alten Hit „Paid in Full“ erinnert; genauer gesagt an den Coldcut-Remix mit dem Sample aus Ofra Hazas „Im Nin’Alu“. Schön ist auch R. Kellys Beitrag „The Truth“ – ein Duett, das allerdings genauso klingt, wie man es von einem Duett mit R. Kelly erwartet.

Völlig unerwartet geriet allerdings das Album „A Little Deeper“ von Ms. Dynamite. Denn nachdem die Engländerin wegen ihres gerappten Beitrags auf DJ Stickys UK-Garage-Knaller „Boo!“ von einem Majorlabel unter Vertrag genommen wurde, fiel den Verantwortlichen offenbar nichts Besseres ein, als ihr einen drastischen Imagewechsel zu verordnen, der nichts mehr übrig ließ, was noch an ihre Vergangenheit erinnern könnte. So wurde aus dem weiblichen MC per Handstreich eine straßentaugliche R & B-Diva für den internationalen Markt. Man stellte ihr kampferprobte Produzenten wie Punch und Salaam Remi an die Seite – der eine ein Kumpel von P. Diddy, der andere bekannt für seine Arbeit mit den Fugees und Nas. Statt unverständlich in Höchstgeschwindigkeit zu schnattern, ermutigte man sie zu singen. Dass sie einst mit den Karat-und-Knarren-Freunden der So Solid Crew freundschaftlich und künstlerisch verbunden war, fiel nicht weiter ins Gewicht, denn ausgerechnet in ihrer ersten Single „It Takes More“ singt sie vehement gegen deren Vorlieben für Karat und Knarren an.

Überhaupt gibt Ms. Dynamite sich neuerdings Mühe, sehr schicklich, vernünftig und erwachsen dazustehen – wie das zusammenpassen soll, weiß kein Mensch. Doch löst man das Album erst einmal aus diesem widersprüchlichen Kontext heraus, wirkt es als Debüt durchaus gelungen. Zum einem erinnert Ms. Dynamite mit ihrer Singstimme erheblich an die besseren Zeiten von Lauryn Hill – was vor allem jenen gefallen wird, die nicht ganz zu Unrecht davon überzeugt sind, dass nach ihrer kopfschrägen „Unplugged“-CD mit Hill nicht mehr ernsthaft zu rechnen ist. Zum anderen erfüllt das Album sämtliche Ansprüche, die man an ein ordentliches R & B-Album stellt: guter Gesang, gute Songs, gute Produktion. So aufregend, dass man Ms. Dynamite den Mercury Prize für das beste Album des Jahres verleihen musste, ist „A Little Deeper“ nicht. Um den Wortwitz beim Schopfe zu packen, sei daher diese letzte Wahrheit formuliert: Dem Album fehlt es leider an Dynamit. HARALD PETERS

Truth Hurts: „So Addictive“ (Interscope/Universal); Ms. Dynamite: „A little deeper“ ( Polydor/Universal)

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