: „Er war ein Outlaw“
Bremen im Van-Gogh-Fieber: Bei Karstadt, gleich hinter der Bettenabteilung, hat Jöns Thomalla seine Staffelei aufgebaut
Mittagszeit bei Karstadt. Im hauseigenen Restaurant mischt sich Geschirrgeklapper mit Small Talk. Einkaufstüten warten auf ihre Besitzer, die sich zur Essensausgabe schieben. Es riecht nach Pfannengemüse. Mittendrin in diesem Schauplatz deutscher Shoppingpause sitzt Jöns Thomalla und malt. Pinselstrich für Pinselstrich entstehen blühende Wiesen, Getreidefelder und südfranzösische Häuschen –Motive von van Gogh. Was an den Spitzen der Pinselhaare entsteht, sind fast perfekte Kopien der Werke Vincent van Goghs. Das “Mohnfeld“, der „Sämann“, „Erste Schritte“.
Eigentlich ist Thomalla Werbegestalter bei Karstadt, die Malerei seine heimliche Leidenschaft. Eigentlich mag es der wortkarge Bremer auch nicht so sehr, wenn ihm neugierige Mittagesser über die Schulter schauen. Trotzdem nahm er den Auftrag gerne an, für das Kaufhaus eine kleine kopierte Begleitausstellung zum großen Pendant in der Kunsthalle anzufertigen. Da sitzt er nun, fast täglich, und malt. In seiner Hand ein Din A4 großer Kunstdruck – daraus entsteht gerade die „Ebene von ‚La Crau‘“. Thomalla arbeitet sich von oben nach unten durch, hat zuerst die Konturen skizziert und füllt nun Getreidebüschel, Blumen, eine Hütte, dick mit öligen Farbexplosionen.
Mit dem „Mohnfeld“ hat er angefangen, das durfte er sogar vom Original abkopieren – Jöns Thomalla hatte seine Staffelei in der Kunsthalle aufgebaut. Einen Großteil der anderen Urbilder bekam er noch gar nicht zu Gesicht. Könnte er, würde er „mit dem Notizblock daneben stehen und genau aufschreiben, an welchen Stellen die Farbe dicker oder dünner aufgetragen ist“.
Thomallas sind keine exakten Plagiate. Nicht jede Mohnblume wächst im “Mohnfeld“ an derselben Stelle, nicht jeder Grashalm neigt sich im Ursprungswinkel. Es gibt nicht – wie beim Original – den roten Blütenölklecks, der nach 100 Jahren immer noch nicht getrocknet ist. „Ich habe versucht, zwei Bilder mit einem Terpentinlappen auf alt zu trimmen, habe es dann aber gelassen.“ Trotzdem macht es ihn manchmal „wuschig, wenn ich sehe, dass ich einen Strich in die falsche Richtung gezogen habe.“
Seine Arbeitsbedingungen im Karstadt-Restaurant sind so la la. Abgesehen vom Geschirrgeklapper lassen auch die Lichtverhältnisse zu wünschen übrig. Für einen Katalog wurden seine Werke jüngst draußen fotografiert. Thomalla war beinahe erschrocken über das kraftvolle Strahlen der Farben bei Tageslicht.
Oft sucht er in seiner Freizeit per Fahrrad nach Motiven. Natur, Menschen, Tiere, - alles, was ihn bewegt. Eine idyllische Wäscheleine hat er schon auf Leinwand festgehalten, einen betrunkenen Stadtstreicher ebenfalls (“Dem hab ich einen Fünfer gegeben.“) Vincent malte 1890 die „Trinker,“ und auch er hat andere Künstler wie Rembrandt oder Millet nachgemalt, allerdings mit eigener Interpretation. „Er war ein Outlaw“, sagt Jöns Thomalla, und das scheint dem Bremer zu gefallen.
Zwei bis drei Tage dauert es, bis wieder ein neues van Gogh-Plagiat geboren ist – van Gogh selbst produzierte meist im Tagestakt. Was Thomalla am meisten aufhält ist, das richtige Mischverhältnis der Farben zu finden. Seine fast-Goghs kosten zwischen 900 und 1250 Euro. Schnäppchen im Vergleich zu den Originalen: Das „Mohnfeld“ ist stolze 40 Millionen wert.
Susanne Polig
In der Kunsthalle ist die Ausstellung „Van Gogh: Felder“ ab Samstag, 19.10. zu sehen. Im TV gibt‘s van Gogh-Fieber am 19.10. bei buten un binnen um 19.10 Uhr, im Kulturjournal des NDR am 21.10. um 22.30 Uhr. Das Nordwestradio sendet am 20.10. um 8.35 Uhr das Feature „Skandal ums ‚Mohnfeld‘“ und berichtet ab 11.35 Uhr live aus der Kunsthall
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