: Die Karawane zieht weiter
Vor dem Anschlag war Bali ein Paradies, heute ist es ein Entwicklungsland. Der Tourismus weicht jetzt auf neue Ziele aus – bis die Gäste das Attentat vergessen haben
Türkei, Ägypten, Sri Lanka, Malaysia, Tunesien und jetzt Bali – die Liste von Terroranschlägen auf Touristen oder touristische Einrichtungen ist lang. Und dennoch ist keines dieser Länder von der touristischen Landkarte verschwunden. Im Gegenteil: Die Türkei boomt, Ägypten verzeichnet einen Aufwärtstrend, und Tunesien setzt auf Zeit und Polizeipräsenz in seinen Straßen. Und hofft, das islamistische Gewaltakte nicht mit islamischen Ländern gleichgesetzt werden. Anschläge auf harmlos sich vergnügende Urlauber sind ein Schock. An ihnen entlädt sich Gewalt und aufgestaute Wut. Dieser Schock hat direkte Auswirkungen. Bali wird, wie vordem Tunesien oder Ägypten, starke Buchungsrückgänge verzeichnen. Ferntouristen, die paradiesische Gefilde pauschal buchen, wollen Sonne, Sand und Sicherheit. Letztere ist nun auf Bali weggebrochen. Kurzfristig. Denn die Welt hat ein kurzes Gedächtnis. Einzelne Anschläge erhöhen vorübergehend die Hemmschwelle, einen fremden Kontinent oder Ort aufzusuchen, aber sie beschränken die touristische Reisefreiheit nicht nachhaltig, auch nicht im Kopf. Die Welt ist nicht unsicherer geworden, ihre Unsicherheiten und unversöhnlichen Gegensätze rücken nur manchmal näher an uns heran.
Und dann dringt die schlechte Realität ungefragt, unerwartet und brutal ein ins gute Leben. Global wie der internationale Tourismus operiert auch der internationale Terror. Terror und Tourismus – eigentlich haben sie nichts miteinander zu tun. Und doch dient der Tourismus dem Terror überall auf der Welt als Ziel. Anschläge auf touristische Einrichtungen haben zwei unschlagbare Effekte: einen politischen – sie schaden der einheimischen Wirtschaft und damit der Regierung –; und einen medialen – sie haben einen hohen Aufmerksamkeitgrad in der gesamten Weltöffentlichkeit. Islamistische Gewalttäter und selbst ernannte Gotteskrieger mit oder ohne Al-Qaida-Hintergrund begründen Anschläge wie im Vergnügungsviertel von Bali auch ideologisch: Sie zücken das Schwert gegen den ihrer Meinung nach verdorbenen westlichen Lebensstil.
Günstigster Nährboden solcher selbstgerechten Rächer ist der krasse Gegensatz zwischen Arm und Reich, der sich in vielen Ländern nirgends offensichtlicher offenbart als zwischen Touristen und Einheimischen. Nirgendwo sonst werden die westlichen Standards und Konsummuster – vom Härtegrad der Matratze über überquellende Büffets bis hin zum schrillsten Tangastring – so direkt sichtbar wie in touristischen Großanlagen. Touristen wollen auch an fernen Gestaden wie daheim, nur eben besser leben. Touristische Zonen sind internationales Terrain. Hier gelten eigene Regeln.
Tourismus ist Landnahme der entspannten Art – aber auch der Siegeszug des Geldes und der Geschmäcker. Nicht nur für die zahlungskräftigen Reisenden, sondern auch für die Einheimischen, die sich anschließen und mitverdienen wollen. Die touristische Landnahme ist punktuell, friedfertig und erwünscht.
Aber sie wird als Eroberung wahrgenommen. Islamistische Terroristen wählen bevorzugt amerikanische Militäreinrichtungen oder touristische Infrastruktur als Ziel. Beide sehen sie als Symbol westlicher Dominanz an, und Touristenhochburgen sind leicht zu treffen. Trotz gegenteiliger Versicherungen der Veranstalter und Regierungen kann sie niemand wirklich schützen.
Die touristische Industrie verkauft die schönen Seiten der Welt. Als aufregende Kuschelpackung mit exotischen Einsprengseln. Auch die einschlägigen Reiseführer verzichten bewusst auf politische Information. Sie verkaufen sich besser, wenn Genuss und Lebensfreude nicht angekratzt werden. Ob Armut, korrupte Eliten, Rebellenbewegungen, Unabhängigkeitskämpfe, politische Repression – Probleme müssen draußen bleiben. Sie stören das Geschäft und unsere Urlaubsfreude. Wenn sie überhand nehmen, wird ein Gebiet großräumig umfahren. Kein Reiseveranstalter investiert heute im desolaten Haiti, dafür umso mehr in der benachbarten, ebenfalls armen, aber ruhigen Dominikanischen Republik. Sie wurde in wenigen Jahren zum Traumziel entwickelt. Die Domrep kennt heute jeder.
Tourismus ist ein Global Player der ersten Stunde. Durch Tourismus werden 11,7 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts erwirtschaftet. Er gibt weltweit jedem neunten Erwerbstätigen Lohn und Brot. Mitunter hängen ganze Volkswirtschaften vom Tourismus ab, etwa die der Malediven. Für viele Länder ist er die Zukunftsindustrie schlechthin. Durch den Tourismus werden so genannte rückständige Volkswirtschaften ins Weltwirtschaftssystem integriert. Noch die randständigsten Länder bindet er in den globalen Modernisierungsprozess ein, sofern sie touristisch interessant sind.
Touristische Globalisierung heißt nichts anderes als die Universalisierung der westlichen Dienstleistungsgesellschaft von Berlin bis Bali. Doch dieser Prozess vollzieht sich mit vielen Ungleichzeitigkeiten und Ungerechtigkeiten. Fischer verlieren ihre Fanggründe, kleine Händler werden verdrängt, ehemals selbstständige Bauern werden zu Kellnern, einheimischen Männer träumen an der Seite einer Touristin vom besseren Leben, einheimische Frauen wollen dieses im Bordell verdienen. Tourismus beschleunigt die Modernisierung, und diese führt zu gesellschaftlicher Erosion und neuen Abhängigkeiten.
Die touristischen Zielgebiete sind dabei abhängig von Moden und Trends in den westlichen Ländern und vor allem vom guten Willen und den Investitionen der Reiseindustrie. Sie ist es, die entscheidet, ob ihre Charterflüge in der Dominikanischen Republik, auf Jamaika oder in Ghana landen. Denn die Amüsiermeilen und Hotelanlagen an den Stränden dieser Welt sind so schön wie austauschbar. Sie sind Konkurrenten. Das wissen am besten die Veranstalter. Sie leiten, bei Krieg und Terror, die Reiseströme kurzfristig und professionell zu ihren Vertragspartnern in anderen Orten um. Sie leisten unverzüglich Schadensbegrenzung.
Härter trifft es das Zielgebiet. Die Anstrengungen und Hoffnungen, durch Tourismus am globalen Markt anzudocken, werden zurückgeworfen. Balis Hoteliers werden für einige Zeit auf ihren Kontingenten sitzen bleiben, Angestellte ihren Job verlieren, kleinere Restaurants schließen. Zu Recht ist das Auswärtige Amt mit Reisewarnungen vorsichtig. Die berechtigen die Urlauber nicht nur zur kostenlosen Stornierung einer bereits gebuchten Reise, sie stigmatisieren behördlich autorisiert auch das entsprechende Land.
Das fremde, das exotische Bali wird schnell zum unheimlichen Bali, die Hochglanzidylle von gestern ist heute ein Entwicklungsland mit vielen Islamisten und ungelösten gesellschaftlichen Konflikten. Beides ist real, die Frage ist nur, ob man auf Seiten der Gewinner oder der Verlierer lebt. Bali? Vielleicht nächstes Jahr, wenn keine weiteren negativen Schlagzeilen die Runde machen. Und dann mit dem noch billigeren Superangebot.
EDITH KRESTA
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