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jazzkolumneSteve Lacy und die Gezeiten des Jazz

Vom Expatriate zum Repatriate

Er nennt es „Mulling it over“, so wie den Alterungsprozess beim Wein. Ein, zwei Textzeilen zwanzig Jahre mit sich rumschleppen, bis ein Song draus wird. Eine Frage, die ihn seit Jahren beschäftigt: warum Jazzsongs nicht genauso interessant sein können wie die Lieder von Schubert, musikalisch und literarisch. Song und Tanz sind für ihn die beiden Pole der Musik, die zusammengehören. Steve Lacy möchte noch erleben, dass eines Tages auch zu seiner Musik getanzt wird.

Die Augen des 68-Jährigen beginnen zu glänzen, wenn man ihn nach den Anfängen fragt. Eine irre Zeit damals. New York, Malcolm X, die Gewalt, die Panther, LSD, die Musik, die sich so weit entfernt hatte, nicht mehr sing- und tanzbar war, revolutionär und isoliert zugleich, der ästhetische Kriegszustand – die Geschichte müsse noch geschrieben werden, meint er. 1953 sagte ihm der Pianist Cecil Taylor, dass es nicht nur darum geht, auf der Bühne zu stehen und zu spielen, sondern vor allem darum, sich und die Musik zu entwickeln. Cecil habe ihn entdeckt, ihm die Richtung gezeigt und ihm all das beigebracht, was man wissen muss „to survive“ – über das Jazzbusiness, die Politik, die Menschen, die Kunst. Auf der gerade erschienenen CD „The Gigi Gryce – Donald Byrd Jazz Laboratory And The Cecil Taylor Quartet At Newport“ (Verve), ist dokumentiert, wie radikal und neu sich das Cecil Taylor Quartet mit Steve Lacy beim Newport Jazz Festival 1957 anhörte.

Ende der Sechzigerjahre wurde Lacy ein Expatriate – ein Amerikaner in Paris. Es brauchte dann zwanzig Jahre, bis der alljährliche Pollsieger in der Sparte Sopransaxofon von Down Beat mit einer Coverstory gewürdigt wurde. Gerade wurde er wieder zum besten Sopransaxofonisten des Jazz gewählt, und wieder, inzwischen weitere zehn Jahre später, hat er eine Coverstory – weil er nach 33 Jahren aus Paris zurückgekehrt ist. Zurück, das heißt in die USA, vom Expatriate zum Repatriate, ein schwieriger Prozess. Kürzlich zog Lacy mit seiner Frau, der Sängerin Irene Aebi, nach Boston um, wo man ihm eine Lehrstelle am New England Conservatory angeboten hatte. Die Dinge liefen einfach nicht gut in diesem Jahr. Im März, kurz nach dem tragischen Tod von Oliver Johnson, er starb als Obdachloser in Paris, 16 Jahre lang hatte er früher in Lacys Band Schlagzeug gespielt, wurde Aebi auf offener Straße überfallen und ausgeraubt. Am folgenden Tag wurde Lacy von einem Auto angefahren, und es brauchte mehrere Wochen, bis er wieder auftrittsfähig war.

Lacy sagt, dass John Coltrane 1960 durch ihn auf das Sopransaxofon gekommen sei. Die Lösung dafür, wonach Trane suchte – die hohen Töne. Und im Laufe der Jahre seien sie sich immer mal wieder begegnet, im Birdland, wo Lacy mit Gil Evans spielte, mit Thelonious Monk, mit Miles Davis. Unüberschaubar die Aufnahmen, an denen Lacy beteiligt war. Down Beat hat schon vor fünfzehn Jahren bei 125 Lacy-Platten aufgehört zu zählen.

Anfang der Sechzigerjahre hatte Lacy ein Quartett mit dem politisch engagierten Posaunisten Roswell Rudd, das ausschließlich Musik des Pianisten Thelonious Monk spielte. Knapp 40 Jahre später nahmen Lacy und Rudd ihre CD „Monk’s Dream“ (Verve) auf. Mit dabei: Lacys langjährige Pariser Rhythmus Unit, bestehend aus Jean-Jaques Avenel, Bass, und John Betch, Schlagzeug. Dass Lacy in die USA zurückgeht, verknüpft er mit der Hoffnung, dass sich die Dinge gewandelt haben. Doch erst einmal schwemmt die Suche und Sucht nach dem Authentischen das Potenzial einer Generation ins Zentrum, die noch über Erfahrungen aus erster Hand verfügt und in der Lage ist, diese auch zu vermitteln.

Die 73 Jahre alte Sängerin Sheila Jordan war mit dem Charlie-Parker-Pianisten Duke Jordan verheiratet und studierte selbst bei den Erfindern des New Jazz der Sechziger. Am Freitag zitiert sie im neuen Berliner Club Soultrane den Jazz-Standard „Slow Boat to China“, in dem sie den Präsidenten Bush gern auf eine lange, lange Reise schicken würde: Ganz allein, versteht sich. Einen Tag später im SFB-Sendesaal. Die 23-jährige Norah Jones kommentiert die aktuelle Situation mit „Everybody’s Cryin Mercy“, einem Song des 74 Jahre alten Mose Allison, „Everybody’s cryin’ ‚Peace on Earth!‘ just as soon we win this war“. Nichts wird hier ausgestellt, so unspektakulär, so selbstverständlich platziert sie den sozialkritischen Song neben den Jazzstandard „The Nearness of you“ und AC/DCs „Ride on“.

Norah Jones zieht in Berlin bei ihrer ersten Deutschlandtournee etwa so viel Publikum wie die letzte große Nummer der Jazzgeschichte, Sonny Rollins. Doch im Unterschied zu Rollins hat sie eine Band. Mit Typen, die aussehen, als hätte sie sie gerade aus dem Probenraum entführt, als müsse man sich nicht extra umziehen für ein 30-Euro-Konzert, als ginge es nur um Feeling und Songs. Und was hat der 72 Jahre alte Rollins? Den Sound eines Gurus, der seine gesamte Energie bündelt für das eine Konzert. Eine spirituelle Erfahrung vermag er aber nicht zu vermitteln. Sein als „All Time Member“ angekündigter Bassist Bob Cranshaw spielt schon seit 40 Jahren mit Rollins, doch der 69-Jährige mit E-Bass und schwarz gefärbtem Haar trifft bei seinem einzigen Solo noch nicht mal das Thema. Als sei ihm der Song zwischendurch abhanden gekommen. CHRISTIAN BRÖCKING

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