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Gats macht Europas Kulturminister nervös

Wie lange darf der Bibliotheksbus im englischen Bezirk Devon Bücher fahren? Oder: Wie sich die Kultusminister der europäischen Regionen darüber klar werden, was Globalisierung mit Bildung zu tun haben könnte. Nur einer hat keine Angst vor Amerika: Niedersachsens Wissenschaftsminister Oppermann

„Europas Regionen dürfen keiner reinen Wirtschaftslogik folgen“ „Gats könnte letztendlich zu einer Art Disneyisierung Europas führen“

aus Brixen KARL-HEINZ HEINEMANN

Saxon Spence macht sich Sorgen. Sie fürchtet sich um den Status mobiler Bibliotheken in dem südenglischen Bezirk Devon. Frau Spence ist dort als Labour-Vertreterin in der Regionalversammlung für „life-long learning“ zuständig. Devon ist nicht sehr groß – und sehr ländlich. Die Busse bringen dort nicht nur Bücher auf die Dörfer. Bald werden sie auch einen gebührenfreien Internetzugang bieten.

Kostenlose Bibliotheken gehören zur Informationsfreiheit, sagt Saxon Spence. Sie brauchen öffentliche Subventionen. Doch damit könnte bald Schluss sein – dann nämlich, wenn Gats, das Abkommen über den Freihandel mit Dienstleistungen, auch auf Bildung und damit auf Bibliotheken Anwendung findet. Die Bezirksregierung von Devon könnte nicht mehr selbst entscheiden, wen und was sie subventionieren will. Die Betreiber von Internetportalen und Datenbanken würden auf Gleichbehandlung klagen – und Devon könnte seine Busse nach Hause schicken.

Bibliotheken, Museen, Theater, Volkshochschulen und alle Einrichtungen des Bildungswesens sind von Gats betroffen. Gats steht für das „General Agreement on Trade in Services“, es wird von der WTO, der Welthandelsorganisation, in Genf verwaltet. Betroffen von den laufenden Gats-Verhandlungen fühlen sich auch die auf der 2. Konferenz der regionalen Kultur- und Bildungsminister in Südtirol versammelten Politiker. Zum Beispiel Saxon Spence. Oder Bruno Hosp.

Bekannter als Bruno Hosp selbst ist einer seiner „Untergebenen“, der im 30 Kilometer entfernten Bozen wohltemperiert aufgebahrte Ötzi. Hosp ist so etwas wie der Kulturminister von Südtirol. Die Region gehört, wie die Emilia Romagna, wie Fünen aus Dänemark, Örebrö aus Schweden, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Thüringen zu den 250 Mitgliedskörperschaften der „Versammlung der Regionen Europas“ (VRE). Die VRE will die regionale Vielfalt in Europa erhalten – kleine Sprachen fördern, dafür sorgen, dass die basisnahe regionale Ebene gegenüber den Zentralregierungen in Europa bestehen bleibt. Dazu gehören auch Regionen aus Nicht- oder Noch-nicht-EU-Mitgliedsländern wie Rumänien, Bosnien oder Norwegen.

Bruno Hosp hat die Brixener Versammlung mit vorbereitet. Was zurzeit über die Neuauflage von Gats verhandelt wird, sickert zu ihnen, den Regionalministern, nur zufällig durch. Allein diese Geheimnistuerei sei schon Grund genug gewesen, sich mit diesem Globalisierungsthema zu beschäftigen, meint Organisator Hosp, der, wie praktisch jeder in dieser norditalienischen Bergregion, zur konservativen Südtiroler Volkspartei gehört. Er ist erschrocken darüber, wozu das Handelsabkommen Gats verpflichtet, nämlich: in- und ausländische Anbieter auf dem Dienstleistungsmarkt gleich zu behandeln, also niemanden durch gezielte Subventionen zu bevorzugen. Staatliche Kulturförderung für Theater, Bibliotheken und Museen steht ebenso zur Disposition wie die Finanzierung von Schulen, Universitäten, Rundfunkanstalten und Filmproduzenten. Strikte Anwendung des Gats hieße: Entweder bekommen alle Anbieter die gleiche Förderung – oder keiner.

Der Kasseler Politologe Christoph Scherrer ist mittlerweile der deutsche Globalisierungsexperte. Er erklärt den Regionalpolitikern, warum sie bisher noch nicht gemerkt haben, welche fatalen Folgen das Dienstleistungsabkommen der WTO für ihre regionalen Kulturen haben kann. Staatliche Dienstleistungen und Subventionen waren bisher vom Gebot der Gleichbehandlung nicht betroffen, weil die Europäische Union Ausnahmeklauseln vereinbart hatte. Doch die müssen alle zehn Jahre auf den Prüfstand. Sie werden gerade neu verhandelt. Bis Mitte dieses Jahres konnten Staaten weitere Öffnungsforderungen einreichen. Japan, die USA, Australien und andere Ländern verlangen, die Ausnahmeregeln nicht zu verlängern. Doch eigentlich weiß man nichts Genaues. Es geht zwar um Transparenz, um die Transparenz des Marktes, doch verhandelt wird darüber hinter verschlossenen Türen.

Gäbe die EU bei der Gats-Überarbeitung nach, so wären die Folgen kaum absehbar: Darf die städtische Oper noch einen subventionierten Zigeunerbaron geben, wenn die Firma Stella „Miss Saigon“ zu Marktpreisen verkauft? Dürfen Bibliotheken Internetdienste kostenlos anbieten, während private Konkurrenten das mit Gebühren oder Werbebannern finanzieren? Schließlich: Darf der Staat eigene Bildungseinrichtungen noch finanziell bevorzugen, wenn der Markt für Schulen und Hochschulen freigegeben wird? Oder muss er sich darauf beschränken, die Qualität der Bildungsangebote zu bescheinigen, die von gemeinnützigen Stiftungen oder auch von kommerziellen Firmen wie der in den USA schon agierenden Schul-AG „Edison“ erbracht werden? Testing-Agenturen sorgen für ein global standardisiertes Angebot – und bezeichnenderweise fordern die USA, dass Europa den Markt auch für diese Agenturen öffnen soll. Für den konservativen Südtiroler Kulturpolitiker Bruno Hosp eine Horrorvorstellung: „Das würde letztendlich zu einer Art Disneyisierung führen. Man kann im Europa der Regionen, zu dem wir uns so gern bekennen, nicht zulassen, dass der Kultur- und Bildungsbereich einer ausschließlichen reinen Wirtschaftslogik unterworfen wird.“

Auch ARD-Intendant Fritz Pleitgen teilt die Befürchtungen der Versammlung. Auch im Medienbereich wollen andere Länder den europäischen Markt weiteröffnen. Dass die USA bereit sind, Quoten für europäische Produktionen in den terrestrischen Rundfunk- und Fernsehprogrammen zu schlucken, hält er für eine besonders geschickte Taktik. Aber wer kontrolliert künftig die Set-Top-Boxen für digitale Programme und die Internetportale?

Die Gefahren liegen in der Struktur von Gats, lässt Pleitgen von der Leiterin des ARD-Verbindungsbüros in Brüssel, Verena Wiedemann, vortragen; er selbst musste wegen Krankheit zu Hause bleiben: Ist man einmal dabei, dann wird die nationale Politik ständig von der Welthandelsorganisation auf Handelshemmnisse überprüft. Medien- und Kulturpolitik sind nicht mehr möglich, alles ist nur noch Handel. Und schließlich: Wer heute noch eine Ausnahme durchsetzen kann, wird künftig keine Ruhe haben. Gats wird dazu zwingen, immer neu zu verhandeln.

Nein, nicht alle blicken trübe auf Gats. Der niedersächsische Wissenschaftsminister und Sozialdemokrat Thomas Oppermann zum Beispiel versteht zwar die Sorge um walisische Gesangsgruppen und deutsche Männerchöre, doch die Konkurrenz mit amerikanischen Hochschulen sei für ihn kein Schreckgespenst. Im Gegenteil – das belebt das Geschäft. Und: Man solle doch hier bitte keine antiamerikanischen Horrorvisionen an die Wand malen, sagt er zum Beispiel zu Liese Prokop, der Präsidentin der VRE und „Landeshauptmann-Stellvertreterin von Niederösterrich“ (ÖVP). Nein, erschrickt sie – aber man müsse doch mal drüber reden können.

Pleitgens Vertreterin Wiedemann dagegen unterstrich die Forderung, die die Regionalminister in ihrer Schlusserklärung erhoben: Die EU soll grundsätzlich auf keine Forderung eingehen, auch selbst keine Forderungen stellen, stattdessen soll der Kultur- und Bildungsbereich ganz aus dem Gats-Verhandlungsprozess ausgenommen werden.

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