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Wie Laborratten im Kampfeinsatz

Kinder + Computerspiele = Gewalt. „Kampfstation Kinderzimmer“ (Arte, 20.15 Uhr) zieht einfache Schlüsse

Der Titel dieser Reportage lässt nichts Gutes erwarten, und schon die ersten Sendeminuten geben den schlimmsten Befürchtungen Recht: Untermalt von düster grummelnder Musik flitzen Bilder von einigen der Amokläufe von Schülern in den USA und Deutschland über den Bildschirm – gefolgt von dem Hinweis, dass alle diese Amokläufer auch regelmäßig Computergames gespielt hätten. Dass sie das mit der großen Mehrheit aller männlichen Teenager in der Ersten Welt gemeinsam haben, unterschlägt der Kommentar. Lieber kommt man umgehend zu der aus Funk und Fernsehen schon länger bekannten Schlussfolgerung, dass Computerspiele Auslöser für die Gewalttaten gewesen sein müssen.

Reportagen von dieser Machart waren im deutschen Fernsehen nach dem Massaker von Erfurt schon häufiger zu sehen. „Counterstrike“, das Lieblingsspiel des Amokläufers, wurde darin vielfach als Hauptschuldiger ausfindig gemacht. Nun zieht – mit gehöriger Verspätung – auch Arte nach. „Kampfstation Kinderzimmer“ bemüht sich dabei nicht, die für Erwachsene schwer zu erfassende Gamer-Szene mit ihrem Geheimjargon und ihren merkwürdigen Umgangsformen zu verstehen. Erst vor kurzem hat sich die ZDF-Sendung „38 Grad“ daran versucht. Die Arte-Autoren Victor Grandits und Andrea Figl schlagen dagegen in ihrer Reportage mit dem martialischen Titel umstandslos in die bekannten Kerben: Videospiele machen gewalttätig und stumpfen gegen das Leid anderer ab, sie erhöhen Aggression und „mindern Tötungshemmungen“ und hinter den Ballerspielen steckt eigentlich das amerikanische Militär.

Unterstützt werden derartige Theorien von einer bunten Mischung der bekannten „Jugendpsychologen“ und „Computerspielexperten“ über vierzig. Dabei darf natürlich auch Werner Glogauer nicht fehlen – obwohl der emeritierte Psychologieprofessor, eine Art Günther Beckstein der Spielehasser-Fraktion, unter Kollegen fachlich höchst umstritten ist und sich gerne auf ominöse amerikanische Studien beruft, die niemand außer ihm kennt.

Für Spiele wie „Counterstrike“ sprechen sich dagegen nur ein Vertreter der Vertriebsfirma und zwei etwas unartikulierte Fans aus – ganz offensichtlich nicht die stärkste Besetzung.

Um zu illustrieren, wie Jugendliche von Games zu Gewalttätern konditioniert werden, zeigen die Autoren übrigens eine Ratte, die auf Lichtsignale reagiert. Besser kann man das Menschenbild, das hinter der umstandslosen Verdammung von Computerspielen steckt, eigentlich nicht auf den Punkt bringen: Jugendliche gleich Laborratten.

TILMANN BAUMGÄRTEL

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