: Fast wie Verliebtsein
Frauen sind auf deutschen Baustellen noch immer eine Seltenheit, doch es gibt sie! Um gegen hartnäckige Kischees den Berufseinstieg zu schaffen, ist allerdings Enthusiasmus unabdingbar
von KATHARINA SCHULER
Eine Baustelle in Berlin-Mitte, Altbausanierung. Auf einem Tapeziertisch im Erdgeschoss steht eine zierliche junge Frau in dunkelgrünen Arbeitshosen. Zwei Kollegen stämmen weiße Platten gegen die Decke, sie reckt sich, hält eine Maschine über den Kopf, schraubt die Platten fest.
Sandy Hanisch, 21, hat sich für einen Beruf entschieden, in dem Frauen noch immer exotisch wirken. Sie lernt Trockenbaumonteurin. Eigentlich sollte sie ja Friseuse werden. „Meine Mutti wollte das. Damit ich femininer werde!“, erzählt sie und lacht. Lange hielt sie es zwischen Waschbecken und Trockenhauben nicht aus. Zu viele Frauen, die Atmosphäre zu „zickig“ und immer das viele Freundlichsein, das sei auf Dauer nicht das Richtige für sie gewesen. „Jetzt mache ich, was zu mir passt“, sagt sie. Wände stellen, Fassaden verkleiden und Decken abhängen.
Der Anteil von Frauen in Bauberufen klingt in absoluten Zahlen gar nicht so niedrig. Etwa 1.800 Frauen waren im Jahr 2000 bundesweit als Maurerinnen beschäftigt, 1.600 als Zimmerinnen und 480 als Dachdeckerinnen. Prozentual gesehen liegt der Frauenanteil allerdings unter einem Prozent. „Berufe haben ein Geschlecht, und das ist bei den Bauberufen ganz eindeutig männlich“, erläutert die Frauenbeauftragte der Gewerkschaft IG Bau, Sylvia Honsberg, die Situation.
Doch wenn die wenigen Frauen, die sich – zumeist auf Umwegen und gegen viele Widerstände – in einen dieser Berufe vorgeboxt haben, von ihrer Arbeit erzählen, dann meist mit echter Begeisterung. „Ich war die ganze Zeit so aufgeregt, es war fast wie Verliebtsein“, beschreibt die 32-jährige Dagmar Sachs, ebenfalls Trockenbaumonteurin, ihre Ausbildungszeit. Sie hatte eigentlich Krankenschwester werden wollen. „Aber das konnte ich nicht“, sagt sie. „Das ist mir alles viel zu nahe gegangen.“ Ihren jetzigen Beruf liebe sie, weil er so abwechslungsreich sei. Gerade in der Altbausanierung werde man ständig vor neue Herausforderungen gestellt, jedes Haus sei ein bisschen anders, brauche eine eigene, individuelle Lösung. „Ich war schon immer so, konnte nie was wegschmeißen, aus Alt mach Neu, das ist genau mein Ding“, sagt sie.
Auch die erste und einzige Asphaltfacharbeiterin Deutschlands, die vierzigjährige Sylvia Klink, die ursprünglich ebenfalls Friseuse werden wollte, bezeichnet ihre schweißtreibende Arbeit als „faszinierend“. „Ist schon ein tolles Gefühl, wenn man über eine Autobahn brettert, die man selbst asphaltiert hat“, sagt sie.
Gemeinsam ist den Frauen vor allem die Abneigung gegen Bürojobs und gegen die berufsmäßige Freundlichkeit im Dienstleistungsgewerbe. Gesucht haben sie einen Beruf, bei dem sie sich körperlich austoben können, bis an die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit, bei dem sie handwerkliches Geschick einbringen können und abends sehen, was sie getan haben. Arbeit mit großen, schweren Dingen und mit großen, sichtbaren Ergebnissen. „Ich will nicht abends nach Hause kommen und müde sein, weil ich den ganzen Tag auf einem Stuhl gesessen habe“, sagt Sandy.
Bei der Berufsberatung des Arbeitsamts wird Frauen von Bauberufen jedoch meist dringend abgeraten. Manchmal geschieht das, weil auch die Berater Baustellen für Männerdomänen halten, auf denen Frauen nichts zu suchen haben. Die Entmutigung kann durchaus als Kompliment verpackt werden. „Was will so ein hübsches Mädel wie Sie denn auf dem Bau, Sie machen mir doch bloß die Männer verrückt“, sagte die Frau vom Arbeitsamt zur achtzehnjährigen Jennifer Kühnhold, die heute Zimmerin lernt. „Sie würden doch niemals vermittelt werden“, sagte man zu Dagmar. Da viele der Frauen bei psychologischen und Wissenstests überdurchschnittlich gut abschneiden, hoffen manche Berater, sie zu „Höherem“ überreden zu können. Aber Dagmar Sachs wollte nicht studieren, sie wollte handwerklich arbeiten.
In der Tat ist es für Frauen schwierig, im Baubereich auch nur eine Lehrstelle zu finden. Sandy Hanisch hat sich bei mehreren Firmen beworben, bekam aber nur Absagen. Schließlich geriet sie an den Berliner „Stattbauhof“, einen städtischen Bildungsträger für Bauberufe, in dem seit Jahren auch Frauen ausgebildet werden. Auch Dagmar und Jennifer erhielten hier ihre Ausbildung. Carola Schreiber, 36, Lehmbauarbeiterin, lernte den Maurerberuf bei einem anderen Qualifizierungsträger. Nur die Asphaltfacharbeiterin Sylvia Klink war von Anfang an in einer „ganz normalen“ Firma beschäftigt. Doch auch bei ihr spielten der Zufall und persönliche Kontakte eine große Rolle. Als Lastwagenfahrerin hatte sie ihre heutige Kolonne auf einer Baustelle kennen gelernt. Weil ihr langweilig war, bat sie, „ein bisschen mithelfen“ zu dürfen. Der Vorarbeiter fand sie begabt, er konnte ihre Einstellung gegen den Widerstand der Firmenleitung durchsetzen.
Bei der gegenwärtigen hohen Arbeitslosigkeit im Baugewerbe sehen Arbeitgeber kaum Anlass, sich auf Experimente mit Frauen einzulassen. Zu groß ist die Befürchtung, Frauen brächten nicht die gleiche Leistung. Die es doch probieren, machen allerdings ganz andere Erfahrungen. „Frau Kühnhold macht hier einen super Job“, sagt der Bauherr eines Einfamilienhauses am Berliner Stadtrand und lobt besonders ihre Selbstständigkeit. Und ein Plattenleger, für den Frauen auf dem Bau „ungewöhnlich, aber kein Problem“ sind, zeigt sich beeindruckt von dem Bündel Dachplatten, das die zierliche Jennifer tragen kann.
Dagmar Sachs hat nach ihrer Ausbildung zunächst in einer normalen Firma als Trockenbaumonteurin gearbeitet. „Ich konnte die Stelle genauso ausfüllen wie ein Mann“, sagt sie. Sie glaube, oft genauer zu arbeiten als ihre männlichen Kollegen. Gerade die filigraneren, die „Fummelarbeiten“ hätten ihr Spaß gemacht. Der Bauleiter habe sich oft mit ihr abgesprochen, wie bestimmte Arbeiten am besten und zeitsparendsten auszuführen seien.
Die körperlichen Anforderungen sind zudem nicht in allen Berufen gleich. Besonders schwer heben müssen die Zimmerer. „Dafür sind die anstrengenden Arbeiten immer schnell vorbei“, meint Jennifer. „Sie verteilen sich nicht kontinuierlich auf den ganzen Tag.“ Wenn ein dicker Balken getragen werden muss, gehe sie in der Mitte. „Was ich kann, mache ich“, fügt sie hinzu. „Und wenn es wirklich mal nicht geht, helfen die Kollegen.“
Im Asphaltgewerbe besteht die harte Arbeit vor allem im Eimerschleppen. Sie sind 25 bis dreißig Kilo schwer, zwei von ihnen nimmt jeder Arbeiter auf einmal. „Mittlerweile werden allerdings in den allermeisten Fällen Aufzüge eingesetzt“, sagt Sylvia Klink. Außerdem müsse man die Eimer ja nicht so voll machen, dass man sie gar nicht mehr schleppen könne. Eine Devise, die sich auch Dagmar Sachs zu Eigen gemacht hat: „Dann gehe ich eben zweimal.“ Schwer heben musste sie schließlich auch als Krankenschwester. Während Sylvia auch im Akkord arbeitet, hat die Maurerin Carola Schreiber sich eine kleine alternative Firma gesucht, bei der es keine Akkordarbeit gibt. „Akkordarbeit kann ich nicht und will ich nicht“, gibt sie unumwunden zu.
Im Umgang mit den Kollegen ist am Anfang häufig nicht zu geringe, sondern gerade zu viel Hilfsbereitschaft ein Problem. „Wenn du eine Frau bist, meinen alle immer, sie müssten dir helfen“, erzählt Sylivia. „Da muss man schon mal sagen: Leute, ich mach meine Sache allein.“ Jennifer und Sandy berichten dagegen, sie seien zunächst eher herumkommandiert worden. Carola erzählt: „Wenn ich mit meiner Minifirma, die aus zwei Männern und zwei Frauen bestand, auf eine neue Baustelle kam, haben sich die Bauarbeiter oft hinter mich gestellt und mir demonstrativ bei der Arbeit zugesehen.“
Doch das ließ sie sich nicht lange bieten. Mit einem herausfordernden „Polierprüfung oder wat?“ brachte sie die Kollegen an die Arbeit zurück. Oder sie stellte sich einfach ihrerseits hin und guckte zurück. Zupass kam ihr auch, dass ihr Vorarbeiter sie zum Spaß „Chefin“ rief. Da gab es dann schnell keine Akzeptanzprobleme mehr. Dagmar Sachs, die bereits ein Jahr nach der Lehre als Ausbilderin zu arbeiten begann, hielt „ihre“ Männer mit Fachvokabular in Schach. „Die waren so perplex, da kamen keine Sprüche mehr.“
Ein dickes Fell braucht man schon auf dem Bau, „hier wird was anderes geredet als zu Hause“, sagt einer von Jennifers Kollegen lapidar. Da kommt es den Bauarbeiterinnen entgegen, dass sie, wie sie übereinstimmend sagen, „schon immer lieber mit Männern zusammen waren“. Nicht alle Frauen jedoch, die eine Lehre auf dem Bau anfangen, bleiben auch dabei. Viele springen schon in den ersten Wochen ab. Andere, wie Jennifer und Carola, steigen nach mehr oder minder langen Praxisphasen aus, studieren oder wechseln in die Bauleitung. Dagmar hat eine Familienpause eingelegt, möchte aber danach unbedingt wieder einsteigen und die Bauarbeit mit sozialpädagogischen Aufgaben verknüpfen. Zuletzt hat sie für den Stattbauhof Qualifizierungsmaßnahmen für Jugendliche, die sich in problematischen Lebenssituationen befinden, geleitet.
Sandy dagegen will genau das machen, was sie gelernt hat: als Trockenbauerin auf dem Bau arbeiten. „Ich freue mich jeden Tag, dass ich zur Arbeit gehen kann“, sagt sie. Und Sylvia Hanisch, die Asphaltarbeiterin aus Hamburg, hat vor kurzem ihren Polier gemacht. Wenn der Vorarbeiter in Rente geht, wird sie die Leitung der achtköpfigen Kolonne übernehmen.
KATHARINA SCHULER, geboren 1971, lebt als freie Autorin in Berlin.
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