: Die Familie als GbR
Ist interessant, anregend, subversiv, sieht sehr gut aus und verändert vielleicht eines fernen Tages die Welt: Die „evolutionären zellen“ und ihr Ideenwettbewerb in der NBGK
Die Schmidtkes sind eine normale Familie. Die Schmidtkes – Vater, Mutter, drei kleine Kinder – sind aber auch eine normale Firma, zumindest war das mal so, 1995, für eine kurze Zeit, bis das Gewerbeaufsichtsamt ihnen den bereits ausgestellten Gewerbeschein wieder aberkannte. Ein Irrtum, sorry, tut uns ja sehr Leid für die „private Kinderbetreuung“ Schmidtke GbR, deren Geschäft gerade so schön angelaufen war, schon wegen der steuerlichen Vorteile. Denn nun konnten die Schmidtkes ihr Essen, die Kinderklamotten und vieles andere als „Betriebsausgaben“ von der Steuer absetzen.
Vielleicht spielte bei dem Einzug des Gewerbescheins auch eine Rolle, dass die Schmidtke GbR damals recht bald Nachahmer fand: Innerhalb weniger Wochen hatten 3.000 Kölner Familien ebenfalls das Gewerbe der privaten Kinderbetreuung angemeldet. Doch war die Aktion trotz des Scheiterns nicht völlig umsonst. Mittlerweile erscheint die Vorstellung, dass Kindererziehung ein Akt der „Wertschöpfung“ sei, den man mit anderen, rechtlich sanktionierten Wertschöpfungen gleichsetzen solle, auch Familienpolitikern der großen Parteien nicht mehr ganz so fremd wie damals. Für die Mitglieder der Künstlergruppe „evolutionäre zellen“ wiederum ist eine Unternehmung wie die der Schmidtkes exemplarisch für selbstbeauftragtes Gestalten gesellschaftlicher Perspektiven, weshalb sie die Schmidtke GbR auch mit in die Jury ihres gleichnamigen, gemeinsam mit der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst ausgelobten Wettbewerbs aufgenommen haben.
Ab heute sind alle eingereichten und natürlich auch die prämierten Beiträge dieses Wettbewerbs in der Galerie der NGBK zu sehen. Dabei ging es Martin Brandt, Florian Haas, Claudia Hummel und Andreas Wolf von den „evolutionären zellen“ nicht in erster Linie um Kunst, im Gegenteil. Gefragt waren subversive, ruhig auch anarchische Ideen, wie man vorhandene gesellschaftliche Konventionen und Strukturen dazu nutzen kann, gewisse Veränderungen herbeizuführen – und sei es erstmal nur im Denken.
Mit den ersten, jeweils mit 3.000 Euro dotierten Preisen ausgezeichnet wurden denn auch sehr unterschiedliche Initiativen und Vorschläge, darunter die „Freedom of Movement“-Bewegung der Brandenburgischen Flüchtlingsinitiative, die sich zum Ziel gesteckt hat, Asylbewerber nicht wie bisher in den zugeteilten Kommunen quasi gefangen zu halten, sondern ihnen das freie Reisen zu ermöglichen. Einen Preis erhielten auch „subtv“, das Internetportal für unabhängige Videoproduktionen der Berliner Medienaktivisten „hybrid video tracks“ sowie das „Center for Land Use Interpretation“ aus Los Angeles, wo sich ehrenamtliche Mitarbeiter um das Aufspüren und Urbarmachen von industriellen, militärischen und sonstwie aus dem öffentlichen Bewusstsein gerutschten Brachlandschaften kümmern.
Da jedoch von den evolutionären Zellen auch alle anderen der mehr als 300 Einsendungen zum Wettbewerb gezeigt werden, gibt es in dieser Ausstellung viele, viele Konzeptpapiere zu lesen. Das könnte schnell ermüdend sein, hätten sich Andreas Wolf und seine Mitstreiter nicht ein ziemlich geniales System für die Präsentation ausgedacht. Die Wände der NGBK-Galerie sind nämlich komplett mit verschieden breiten Streifen in fünf Farben bemalt. Jede der Farben markiert ein bestimmtes Stadium der Wettbewerbsausscheidung, Blau steht für den ersten Durchgang, Grün für den zweiten und so weiter und so fort. Außerdem haben die vier Künstler die Beiträge chronologisch geordnet, so dass man den Fortgang des Wettbewerbs auch in der Hinsicht erstaunlich einfach und sinnfällig nachvollziehen kann. Das Schönste ist: Das alles ist nicht nur interessant und anregend, es sieht auch richtig gut aus. ULRICH CLEWING
NGBK, Oranienstraße 25, täglich 12 – 18.30 Uhr, bis 1. Dezember
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen