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Zeichner und Wunder

Eine Huldigung an F. K. Waechter, der morgen seinen 65. Geburtstag feiert

So viel ist unstrittig: Friedrich Karl Waechter ist der Beste. Wie schön, dass in einer Epoche der großen Verunsicherung, der umfassenden Relativierung und des allgemeinen Verlusts an festen Standpunkten wenigstens in einer Frage ausnahmslos alle Sachverständigen völlig einer Meinung sind. Uneinigkeit besteht allenfalls darüber, in welcher Disziplin er der Beste ist. Die einen rühmen ihn als den erfolgreichsten und weltweit meistgespielten Kindertheaterautor deutscher Zunge, die anderen lieben vor allem seine Kinderbücher, für die er bereits zweimal den Deutschen Jugendbuchpreis bekommen hat, und der Rest preist den genialen Cartoonisten, dem kein anderer im Lande auch nur annähernd das Wasser reichen kann.

Nun, das ist natürlich stark untertrieben. Ein Cartoonist zeichnet, Waechter aber zeichnet, tuscht, malt, collagiert, illustriert, fotografiert, stempelt, klebt, bastelt, montiert, installiert und tut unerhörte Dinge, für die es noch kein Wort gibt. Also erfinden wir einfach eins: Er waechtert. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn jemand mit einen Birnenstiel als Pinsel eine Birne zeichnet und ihn sodann an der entsprechenden Stelle aufs Bild klebt? Wenn einer ein verrostetes Blech ausstellt und es mit einer poetischen Kurzgeschichte bedichtet? Wenn er eine an zwei Stellen zum Mittelpunkt hin gerissene Baumscheibe so an die Wand hängt, dass auf einmal jedem ins Auge sticht, was zunächst nur dem Künstler auffiel: Das sieht ja aus wie eine Uhr, deren Zeiger auf „Fünfzehn Uhr vierzig“, so der Titel des Werks, stehen!

Waechter hat eben nicht nur kühnere Einfälle als andere, er hat nicht nur eine geschicktere Hand, er hat zunächst einmal das schärfere Auge. Und das erlaubt ihm zu erkennen, welche Technik einer bestimmten Idee am dienlichsten ist. Das kann eine unfassbar fein ziselierte Schraffur sein wie in dem grandiosen Blatt „Max Brod verbrennt Kafkas Werk“, aber auch absichtsvoll Verhauenes, also etwa der brachiale Sauklauenstil, den die beiden Rattelschneck-Zeichner Marcus Weimer und Olav Westphalen in unzähligen Übungsstunden mit ihrem Lehrer und Entdecker Waechter entwickelt und zur Vollendung gebracht haben.

Vor gut 35 Jahren, als in Deutschland noch der gepflegte, elegante Bilderwitz vorherrschte, erprobten drei junge Pardon-Redakteure namens F. K. Waechter, Robert Gernhardt und F. W. Bernstein zum ersten Mal eine Ästhetik der, wie es Gernhardt rückblickend nennt, „wurschtigen Privatheit“. Ihr gemeinsamer Bucherstling „Die Wahrheit über Arnold Hau“ von 1966, damals Flop, heute Klassiker, besticht nicht zuletzt durch einen bemerkenswert dreisten optischen Auftritt, und das, so Gernhardt, „war Waechters Verdienst. Er beschwor uns wiederholt, es bei jenen Kugelschreiberskizzen zu belassen, die während unserer Sitzungen entstanden; und der Vergleich mit den wenigen ausgeführten Blättern, die ich in den ‚Hau‘ einrückte, gibt ihm Recht: Die krakelige Trash-Manier der caricatura povera transportiert die komische, mit Fleiß unpointierte Botschaft sehr viel unbeschadeter und unverwässerter, als es eine um Stil bemühte Zeichnung aus meiner Hand damals vermocht hätte.“

Ein Glücksfall mithin für alle Beteiligten, dass der gelernte Gebrauchsgrafiker Waechter bei der Oberbadischen Annoncenexpedition in Freiburg/Breisgau sein Tagespensum – Etiketten und Reklameanzeigen für Friseurartikel, Verpackungen und Sonderangebots-Aufsteller – in einer Stunde hinter sich bringen konnte und dadurch genügend Zeit fand, um Cartoons zu zeichnen. So gewann er die erste Aufmerksamkeit für sich, die dem 24-jährigen 1962 die Stelle als Layoutchef bei der neu gegründeten Satirezeitschrift Pardon einbrachte. Der Rest ist Geschichte und mittlerweile museumsreif: Noch bis zum 5. Januar 2003 zeigt die Caricatura im Historischen Museum Frankfurt am Main eine Jubiläumsausstellung zu Waechters 65. Geburtstag. Zu sehen ist eine unerhörte Pracht aus 40 Jahren höchstproduktiven künstlerischen Schaffens, aber leider, leider nicht das Ergebnis des allerersten Zeichenauftrags von 1954: „Dieter Bach, ein Klassenkamerad, möchte eine nackte Frau. Ich führe diesen Auftrag aus, obwohl ich noch nie eine gesehen habe.“

KLAUS CÄSAR ZEHRER

„Waechter“; Caricatura-Ausstellung bis zum 5. Januar 2003; Historisches Museum Frankfurt am Main, Saalgasse 19; Dienstag, Donnerstag und Freitag 10–17 Uhr, Mittwoch 16–20 Uhr, Samstag und Sonntag 13–17 Uhr. F. K. Waechter: „Waechter“. Diogenes 2002, 368 Seiten, 39,90 €

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